Wolfsberg,
25. September 2006
Die Prügel, die er bezogen hatte,
schien schon vergessen. Der Schmerz der Beulen, so lange er sie nicht berührte,
war verflogen. In der Dunkelheit ein Blinder, wusste er nicht, wer oder was ihn
geschlagen hatte und eigentlich auch nicht warum. Es tat nur weh. Er hätte
nicht hingehen sollen. Wie eine Mücke das Licht anzieht, konnte er nicht
anders. Droben in den Bergen, in der Einsamkeit der Landschaft, gab es diese
Probleme nicht. Der Übermensch Zarathustra
kam überlegen daher, als Lehrer und Weiser, als Prophet und unbesiegbar
Starker. Michael Welten war aber kein Übermensch. Ganz im Gegenteil, ein
Menschlein, ein schwaches, verletzbares, Schmerz empfindendes Menschenwesen.
Wieso hatten sie oder es oder er so auf ihn eingedroschen, zumal aus dem Dunklen
? Was war diese Dunkelheit ? Unbekanntheit ?
Dort, eine Bühne,
Lichtscheinwerfer blenden die Sicht ins Publikum, es ist quasi nicht vorhanden,
nur einzelne Köpfe sind zu sehen, schauend, beobachtend, still und nicht weiter
von Belang für das, was auf der Bühne vor sich geht. Dort, vor einem
einfachen Tisch, gefesselt auf einen Stuhl, angestrahlt von einer
Schreibtischlampe ein Mann : es ist Welten. Vor ihm stehen Männer, konturenhaft
dunkel, ohne Gesicht. Sie stellen Fragen, auf die er keine Antwort weiß. Einer
kommt auf ihn zu und schlägt ihn mit einem Knüppel auf den Kopf, Blut spritzt,
er spürt nur einen stechenden Schmerz. Diesen Schmerz, er spürt ihn wieder und
wieder, immer aufs neue und an ganz anderen Orten, in ganz anderen Situationen. Auf diese Weise werden sie zu
jenem Ort, zu jener Situation auf der Bühne. Und der Schmerz nimmt das Jetzt mit sich und bringt
Welten
dorthin zurück. Er will nicht zurück, um keinen Preis will er zurück an
diesen Ort, in diesen Kerker, in diese Folterkammer.
In der Stadt hatte es eine
Abstimmung über die Asylgesetze gegeben. Welten ging nicht hin und stimmte
nicht ab. Es interessierte ihn nicht. Zur Strafe hatten sie in der Nacht nach
der Abstimmung ein Siegesfeuer angezündet. Er musste hin, das Licht zog ihn, er
ging hin. Sie verprügelten
ihn nur. Er konnte froh sein, dass sie ihn nicht verbrannten. Er hatte sich
absichtlich herausgehalten, er hätte sonst mit der Mehrheit für die neuen, härteren
Asylgesetze gestimmt. Er wollte jedoch nicht ganz so herzlos sein, deswegen ging
er nicht hin zur Abstimmung vor dem Siegesfeuer. Die armen Menschen in Afrika, in Indien und in den Slums von Sao
Paulo taten ihm aufrichtig leid. Sie hatten allen Grund zu fliehen, zu kämpfen
und um Asyl zu bitten. Mit sieben Milliarden Menschen platzte für Welten die
Welt aus allen Nähten. Die Katastrophe der Überbevölkerung ließ ihn
unmenschlich werden. Er wollte nicht teilen, wollte nicht, dass noch mehr kämen,
dass noch mehr gebaut würde und noch mehr Autos führen und noch mehr Flugzeuge
flögen und noch mehr, mehr, mehr, mehr würde. Das machte ihn ratlos. Es schlug
ihn. Er durfte für sich nicht beanspruchen, er hatte zu teilen, um gut zu sein.
Darüber konnte er nicht sprechen. Es war einfacher zu sagen, man wäre gut und
wolle das Gute und gäbe und teilte darum alles, was man hätte. Er wusste, er löge
dann. Außerdem war das keine Lösung, wenn er gab, verzichtete und teilte. Er
wollte einfach, dass es nicht so viele Menschen wären und es darum soviel Not
und Leid hätte auf der Welt.
Auf der Bühne lief einer zur
anderen Seite rüber, er wurde verfolgt. Auf der anderen Seite angelangt, schlägt
ihm ein Mann vor der Nase eine Türe zu. Die Häscher greifen ihn und schlagen
mit Knüppeln auf ihn ein, dann zerren sie den reglosen Körper zurück auf die
andere Seite ins Dunkle. Der Mann in der Türe war Welten. Er schlug die Türe
zu, gleichzeitig liegt er am Boden und wird zurückgezerrt ins Dunkle.
Gibt es keine Rettung ? Keine Möglichkeiten
? Nein, es sind zu viele. Es werden immer mehr und immer mehr werden kommen.
Diese Sätze schlagen herunter auf den gefesselten Mann am Verhörtisch.
Argumente sind Knüppelschläge. Nein, heißt es, es sind zu viele. Es werden
immer mehr und immer mehr werden kommen. Nein, wir haben selber zu wenig und
wollen dies wenige nicht teilen. Nein. Nein. Nein. Es ist mein Garten, es ist
mein Park. Schickt die Reiterei, die Menge dort am schmiedeeisernen Zaun zu
vertreiben. Sie sehen eklig aus mit ihren verhungerten Gesichtern. Sie plagen
mit ihrem flehenden Geschrei. Schickt die Reiterei, sie niederzumachen und zu
vertreiben von meinem Garten, meinem Park mit den schönen Bäumen, in deren
Mitte der eine steht, der mit den Äpfeln für den Kuchen mit Streuseln und
Sahne.