Couchsurfing mit Eve

Ein Erfahrungsbericht von Sabrina Moserbacher, Berlin, 31. März 2008

 CouchSurfing Globe

Micha fuhr per Mitfahrgelegenheit nach Berlin, um dort per Couchsurfing seinen Dingen in der Metropole nachzugehen. Seine Dinge? Sie bestehen aus Politik und, wie sollte es anders sein, aus: Tantra, Tanzen und Schreiben. Natürlich passte Sabrina überhaupt nicht, dass er sich verdünnisierte. Sie wollte mit ihm wohnen, wollte mit ihm ihr Leben teilen und was machte er? Er löste sich in Luft auf, verschwand und ließ sie allein zurück mit all ihren Sorgen wegen der Therapie-Ausbildung in dieser elenden Leipziger Schule, die sie maßlos forderte und fertig machte. Was war das für eine Beziehung, schimpfte sie. Und vor allem, wie sollte das weiter gehen? Am liebsten hätte sie ihn durchgeschüttelt und angeschrieen, er solle sich um Arbeit kümmern. Sie würde jedenfalls nicht für ihn aufkommen. Es waren seine Schulden, die er hatte, nicht ihre. Am meisten foppte sie, dass sie, nachdem er zu ihr gezogen war, auch noch die ganze Miete zahlen durfte. Sein Harz zwei Antrag war wegen ihrer Ersparnisse abgelehnt worden und sein großartiger Plan, sie könnten zusammen als eine Lebensgemeinschaft besser abschneiden, war wie die Seifenblase des Börsencrashs geplatzt. Sie hatte es nicht glauben wollen, dass die Deutschen so pingelig wären und erwarteten, dass sie Micha nun auch noch durchfüttern sollte von ihrem sauer ersparten Geld. Darum war sie ehrlich gewesen und hatte ihr ganzes Vermögen bei dem Harz zwei Antrag angegeben. Überhaupt, dass sie keinerlei Unterstützung oder ein Stipendium bekam, fand sie einfach ungerecht. Den Student wurde alles in den Mund geschoben und solche wie sie, die nach der Schule in den Beruf gegangen waren, durften rackern. Ungerecht war das.

 

Kurz vor Berlin rief Micha bei Eve, seiner Couchsurferin, an, er käme gleich. Sie war ein wenig nervös. Ein gut aussehender Journalist versprach sein Bild auf den Web-Seiten von Couchsurfing. Dass die Männer aber auch immer attraktiver würden mit zunehmendem Alter, während unsereins …, dachte sie vor dem Spiegel beim Anmalen ihres Liedschattens und noch einwenig Schminke, sie wollte gefallen. Mist aber auch, die Kaffeemaschine war in die Dutten gegangen. Sie lief hinunter zum Türken-Bäcker an der Ecke, eine Warteschlange von Schülern vor ihr, es dauerte bis sie mit einem dampfenden Pappbecher wieder oben am Laptop saß, sich eine Zigarette drehte und in die Küche lief, um zu rauchen. Sie hatte sich vorgenommen es irgendwie zu schaffen aufzuhören mit dem Rauchen, nach dem der Herr Gesetzgeber ernst machte und das Rauchen sogar in den Kneipen untersagte. Also verbot sie es sich erst einmal selbst in ihrer Wohnung zu rauchen. Ok, in der Küche durfte sie und auf dem Balkon, sonst aber nicht. Wie sah die Wohnung aus? Originell und wenn es ihm nicht passte, dann sollte er eben eine Biege machen. Nun gut, das Regal für die Taucherflaschen und die Taucherausrüstung hätte sie schon noch aufbauen können. Aber für so einen Typen würde sie bestimmt nicht extra aufräumen. Sie war eben so. Diesen Provinzialstil ordentlich sortierter Bücherregale mit Kleiderschränken hatte sie eh satt. Nein, es sollte punkig aussehen, einwenig kunstvoll verlodert, hier was, dort was, sprich eine unordentliche Ordnung, eine Anti-Ordnung, ein geschmackvoll geordnetes Chaos, sie wollte doch nicht als bieder ausgelacht werden, nein, nein, denn sie stand ihre Frau. Oder wollte sie nicht doch lieber liegen? Oh, diese Kacktypen. Ihr letzter … ja, wann war das eigentlich gewesen? Ihr letzter Lover, ihr letzter Flirt, ihr letzter… Nun ja, es war schon wieder einige Zeit her und ihre Kuhle Wampe wurde immer runder. Im Grunde machte sie sich keine großen Hoffnungen mehr auf ein gemeinsames Leben mit einem, der es mit ihr aushielt. Sie hielt es ja selber kaum aus mit sich. Sie würde nachts nicht schlafen können, sagte sie, als Micha ihr am Tisch gegenüber saß, deshalb solle er nur im Schlafzimmer auf der geschmackvoll bezogenen Designermatratze schlafen. Sie schlafe in diesem online-Zimmer: zwei Laptops, ein großer TV Flachbildschirm, Musikanlage - auf einer Luftmatratze. Er guckte sie ungläubig an. Nein, es mache ihr wirklich nichts. Sie sah, dass er sich fragte, was das werden solle. Er sah wirklich zu süß aus. Mist aber auch, dass er eine Freundin hatte. Vielleicht würde er ja doch … Noch ein Telefonat wegen des Projektes, währenddessen schob sie ihm den Schlüssel rüber. Mitzunehmen gab es bei ihr so wie so nicht viel, außerdem sah er vernünftig aus. Aber sah sie das auch? Würde er ihr eine gute Bewertung ins Couchsurfer Portal schreiben? Denn das war das Wichtige: eine gute Bewertung, die garantierte, dass auch sie, wenn sie reisen wollte, von Leuten aufgenommen würde. Ach, auch egal. Sie musste los. Am Abend also im Bebob, dem Tanzsalon am Mehringdamm. Sie waren verabredet und dann mal sehen. Zum Tantra wollte er, in dieses komische Institut gegenüber vom Bebob, eine Meditation machen. So hieß das heute. Sie hatte davon gehört. Um Sex ging es da. Wieso war sie noch nicht hingegangen? Wegen ihrer kleinen Bauchrolle? Nein, deswegen nicht. Sie war noch nicht hingegangen, weil sie es so sehr brauchte. Die Knie wurden ihr ganz weich bei dem Gedanken, er könnte … Quatsch, er hat eine Freundin. Die Tür, das Treppenhaus, die Straße, ab ins Projekt.

 

Micha hatte seinen Lappy hervorgeholt und war online gegangen. Sabrina, wie beruhigte er Sabrina? Er wollte sie nicht verlieren, er wollte sie nicht enttäuschen und sich an Eifersucht zernagen lassen. Also schrieb er, dass er sie liebe, es alles ganz öde wäre ohne sie und er zusähe, morgen zurück zu kommen. Dann fiel ihm ein, dass sie überhaupt nicht Zuhause wäre, dass sie keine Zeit für ihn hatte. Was sollte er also bei ihr? Wie er es auch machte, es war nicht richtig. Na also dann, was wollte er? Ja, er wollte zum Tantra. Weil es dir nur um Sex geht, sagte Sabrina. Nein, weil da jedes Mal etwas göttliches abgeht, etwas schönes, etwas, was auch mit Sex zu tun hat, klar, aber eben nicht nur. Würde er also bleiben? Und wo? Bei Eve? Die Vorstellung bereitete ihm einige Kopfzerbrechen. Wie würde diese Nacht ausgehen? Nun ja, mal sehen. Aber er musste vorausplanen. Also, kein Tantra, zurück nach Leipzig. Oder doch nicht? Er verblieb in dieser Unentschiedenheit, wobei die Gegenwart die Zukunft umschloss, denn nur in der Gegenwart ließ sich zukünftiges bewerkstelligen. Er brauchte irgendwann eine MfG für die Rückfahrt. Er kannte das. Die Unentschiedenheit in der Gegenwart führte auch zu Entscheidungen und zwar durch Unterlassungen, Nicht-Wahrnehmungen. Irgendwo liebte er diesen Zustand. Es war ihm, als wäre er ganz vorn an der Seifenblase seiner Realität, so dass nicht viel fehlte, sie zum Platzen zu bringen. Plöpp! Und dann? Ein neues Leben, ein anderes, unbekanntes. Ja, da lag es vor ihm: er würde Sabrina sein lassen, würde von einer Couch zur nächsten reisen, bis er die richtige gefunden hätte, um auszuruhen, zu rasten. Ja, das Leben war ein Weg, ein Flusslauf, so oder so.

 

Abends: Die Meditation im Tantra- Institut war wieder eine dieser durchaus lecker zubereiteten Fast-Food-Konservenbüchsen-Meditationen. Ein netter Raum, liebe Leute, aber Anleiter, die es sich nicht zutrauten und es lernten, Meditationen wie das Breath- Relief, bei dem bis zur Ekstase geatmet wird,  selbstständig anzuleiten. Anstatt dessen schmeißen sie eine CD eines als groß vermarkteten Meisters in den CD-Player, drehen die Anlage auf und dann machen die Leute schon, was sie machen sollen. Micha fand es in Ordnung, solche CDs zu Hause zu haben, wenn er allein mit sich klar zu kommen hatte, aber in einer Gruppe erwartete er einfach anderes.

Nun ja, er hatte tief durchgeatmet, einige Phantasien und Arbeitsprojekte waren in ihm hochgekommen und dadurch klarer geworden. Es war nicht ganz umsonst gewesen. Vom Tantra - Institut ging er die paar Meter über dMehringdamm in den Tanzsalon. Gediegene Atmosphäre, Tanzstunden Ambiente und im oberen Saal sah er Eve. Sie tanzte die Männerrolle stellte er nach einer Weile fest und wunderte sich. Ihr Typ ließ sich führen und das nicht schlecht. Im Anschluss trafen sich die Leute und saßen an Bartischchen beisammen: Socializing. Für die Berliner Singlewelt war das eine ganz bedeutsame Situation: Man konnte sich ungezwungen unterhalten und mitbekommen, wer der andere war und langsam, von Abend zu Abend, Kontakt aufbauen. Vor allem für die Single-Frauen war das wichtig, selbst wenn sich meistens nichts weiteres für sie daraus ergab. Micha erzählte lauthals in die Runde, auf den Monitoren in der U-Bahn hätte es auf Textlaufbändern geheißen, die BVG streike ab Null Uhr. Oh, meinte der Barkeeper und sorgte sich, wie er nach Hause käme. Eve bedauerte nur ihren einen Helm für die Maschine mitgenommen zu haben. Die anderen ließ die Streik-Info kalt. Sie waren motorisiert. Es handelte sich durchweg um ein in Brot und Arbeit stehendes Publikum, das natürlich ein Auto hatte. Sie erzählten von den vorhergehenden 14 Tagen Streik der BVG. Es sei zu keinen nennenswerten Aktionen gekommen. Micha erinnerte erzählend an die Rot-Punkt Aktion, die er als Kind in Hannover mitbekommen hatte. Die Leute hätten sich mit einem roten Punkt auf einem Blatt an die Straße gestellt und die Autofahrer hätten angehalten und mitgenommen. Die Zeitungen, das Radio, alle hätten das unterstützt. Ja, hieß es, man hätte schon mal jemanden den Finger raushalten sehen, auch angehalten und mitgenommen, aber eine Bewegung sei das jetzt in Berlin nicht geworden. Wir leben eben in einer entsolidarisierten Gesellschaft, stellte Eve fest und erntete Zustimmung. Micha zog es vor zu gehen. Er fürchtete, keine Bahn mehr zu bekommen. Eve sagte, sie käme bald nach. Die Tram-Schaffnerin unterwegs meinte, es sei wohl ein vorgezogener April Scherz, in Potsdamm hätte sich die Tarifkommission auf ein Ergebnis geeinigt. Ja, ab Null Uhr hieß es April, April.

 

Bei Eve angekommen, legte sich Micha wie besprochen in Eves Bett. Würde sie noch einmal ins Zimmer hereinschauen, würde sie sich vielleicht sogar zu ihm legen und es sein lassen, auf einer Matratze in der Stube zu schlafen? Zumindest ihre zweite Bettdeck würde sie holen. Er döste leicht, als sie kam. Nichts geschah. Sie ging ins Nebenzimmer und ward nicht gesehen. Es war ein leichter Schlaf, der ihn immer mit einem halben Ohr hinhören ließ ins Nachbarzimmer. Bestimmt ging es ihr ähnlich. Am frühen Morgen hörte er die Wohnungstür gehen, er schlief weiter. Sie war tatsächlich einfach so zur Arbeit gegangen.

 

Auf dem Rückweg nach Leipzig erzählte er vom Couchsurfing. Die Mitfahrer fanden es unsicher. Ja, tatsächlich, was wäre, wenn er ein Drögler wäre, der dringend Zaster brauchte und Eves Kamera mitgehen hätte lassen? Wegen 600 Euro würde die Polizei doch nicht einen Finger rühren. Wegen des Kleinkrams machten die doch nichts. Und wie wollte sie das schon beweisen, dass er die Kamera geklaut hatte? Nee, das Couchsurfing war trotz aller Verfikationsprozeduren ein riskantes Unterfangen. Es konnte ja sonst etwas passieren, aber es machte Spaß. Es war wohl genau deshalb aufregend, erfrischend und an die Grenze des bisher Bekannten bringend. War da nicht die Phantasie gewesen, auszusteigen aus seinem bisherigen Leben, abzuspringen von dem normal laufenden Gang der Dinge und einzutauchen in eine neue Welt. Eve hätte bestimmt nicht nein gesagt, wenn er länger geblieben wäre und es hätte sich bald jemand anderer zum Couchsurfen gefunden und so weiter. Er wäre herumgekommen. Nun, mal sehen, vielleicht ein andermal.

 

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