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Games Convention

Leipzig, den 20. – 24. August 2008, SM

Aion Girl 
Slide Show Games Convention 2008 
VideoClip Games Convention 2008 
Die Leipziger Games Convention 2008 verspricht ein Megaevent der Freizeit-, der Spaß-, der Konsum- und Vergnügungsgesellschaft zu sein. Wir, von der Redaktion Welten online, entschlossen uns, unseren Second Life Avatar, Ajan Burnstein, als unseren Dogma Journalisten zur wohl größten Messe für Videospiele in Europa zu schicken und erhielten folgenden Bericht samt Fotos und Filmaufnahmen.

Zur Erläuterung: Ein Avatar bezeichnet in der Welt der digitalen Videospiele eine künstliche Person, die, grafisch dargestellt, verschiedene Attribute und Qualitäten aufweist. Die Gamer schlüpfen in solche, auf dem Bildschirm erscheinende Gestalten. In der virtuellen Welt des Videospieles verkörpern sie eine Selbstrepräsentanz: der Gamer identifiziert sich mit seiner Figur, die er, wie eine Spielpuppe, lenken kann. Er taucht mit ihr in die virtuelle Realität des global vernetzten Internets ein und erlebt die Begegnung mit anderen als auch die Auseinandersetzung mit der Landschaft, in der er sich findet. Die virtuellen Spielfiguren können in Echtzeit sowohl miteinander als auch mit den Elementen des Videospiels in Beziehung treten. Gesteuert wird die Figur über ein Gamepad, früher Joystick, die Maus, die Tasten der WSAD-Steuerung, die Richtungspfeile. Die Sprachsteuerung ist in Entstehung. Die gesamte Industrie zeichnet sich durch eine rasante Technologieentwicklung aus, was Rückschlüsse auf hohe Profitmargen erlaubt. Bei den Gamern, den Anwendern, handelt es sich um ein überdurchschnittlich junges und Testosteron starkes Publikum. Mir fiel nicht nur die Unterrepräsentanz von weiblichen Gamern auf, sondern die lautstarke Schrille einer pubertär anmutenden Atmosphäre. Wie beim Fasching beherrschen Fantasiegestalten, Kostüme und Masken die Messeszenerie der Akteure. Was ansonsten in der virtuellen Welt auf dem Monitor vor sich geht, ähnelt in seiner realen Umsetzung und Erscheinung auf der Games Convention dem bunten Treiben während der Höhepunkte einer Faschingsnacht.

Anhand der Online Videospiele scheint ein Generationsgraben deutlich zu werden: Die ältere Generation sieht die Computer Videospiele als ein Kinderspielzeug an, in dessen Niederungen von offensichtlicher Brutalität, Lautstärke, Geschwindigkeit und technischer Geschicklichkeit der Handhabung, sie nicht mehr eintauchen wollen. Sie werden zu passiven Betrachtern, die sich resigniert abwenden und der Jugend das weite Feld der Videospiele überlassen. Insbesondere haben sie die Besorgnis, ihre Kinder könnten, wie durch Fernsehfilme, nun durch Videospiele, negativ beeinflusst werden. Die Entwertungsargumente erinnern an diejenigen der älteren Generation zu Zeiten der Einführung der ersten PCs in den achtziger Jahren. Die gegebenen technischen Geräte und das Können, mit diesen die lebensalltäglichen Arbeitsverrichtungen bewerkstelligen zu können, waren so umfassend, dass es keine Vorstellung darüber gab, in welchem Maße sich sowohl die Technik als auch die Anwender der technischen Ausstattungen ändern würden. Binnen nur zweier Jahrzehnte hat sich mittlerweile ein technologischer Wandlungsprozess vollzogen, der seinerzeit so undenkbar war, wie der Fall der Mauer.

Die Kinder und Jugendlichen der Milleniumsgeneration erfahren nun mehr eine Sozialisierung, bei der sie meistenteils von den Eltern sowohl was die Handhabung als auch was die Inhalte ihrer Spiele angeht, allein gelassen werden. Eine Reflektion und kritische Auseinandersetzung mit der als unveränderbar gegebenen Struktur der virtuellen Realität der ihnen vorgegebenen Spiel- und Fantasiewelt kann nicht stattfinden. Findet sie doch statt, so wird sie systemimmanent über die Chat-Channels des jeweiligen Spieles abgewickelt.

Wenn der Satz gilt: Die Spiele der Kinder von heute, sind die Wirklichkeit der Welt von morgen, dann erscheint die extreme Polarisierung von Gut und Böse, Tot und Leben, Erfolg und Misserfolg in den interaktiven Videospielen erschreckend. Es ist ein Effekt, der sich vor allem auf die Leistungen der Umsetzung realistischer Detailtreue gründet. Mit welcher Genauigkeit Trickfilmgestalten zu Gefühlsleben erweckt erscheinen, veranschaulichen animierte Fantasiefilme. Bei den Videospielen tritt die Dimension der Interaktivität global vernetzter Anwender hinzu. Schon die herkömmlichen Märchen zeichnen sich durch erschreckende, schrille, brutale Bilder und Szenen aus. Zur Dimension der schriftlich gefassten, also erzählten Geschichte tritt in den Videospielen die Dimension von Ton, Musik, von ausgemalten Bildern und schließlich die der Interaktivität hinzu. Nicht nur die externalisierte Fantasiewelt einer konkret gewordenen virtuellen Realität umfängt beeindruckend, sondern das eigene Agieren in dieser.

Über die Messe gehend drängten sich Fragen auf zu den jungen Leuten, die bequem hingefletzt in Knautschsessel, Sofas und Sessel mittels Fernbedienung verbunden gebannt auf Monitore schauten. Dort auf dem Monitor war das Leben, in ihrer Hand der Superstick, der sie dort im Spiel agieren ließ. Es ist eine Einzelbetrachtung einen dieser jungen Männer, Mark, extra aus den USA angereist, als einen aufgeweckten, intelligenten Mann im Gespräch mit mir zu erleben, wobei er unverständlicher Weise nach einigen Momenten anfängt, unruhig von einem Bein aufs andere zu Hüpfen. Es ist, als ob ihn eine innere Unruhe triebe. Offensichtlich verschafft sich die Lebensenergie des jungen Körpers, die sich nicht mehr anders entfalten kann, auf diese Weise einen unwillkürlichen Abfluss. Die Hyperaktivität auf dem Bildschirm und die hedonistische Passivität auf dem Knautschsofa erzeugen eine Spannung, die sich offenbar in dieser Weise entlädt.

Töten, töten, töten: Kriegsspiele beherrschen nicht nur wegen der Lautstärke die Szenerie, sondern wegen ihrer überwiegenden Anzahl. Es ist doch nur ein Spiel, wir sind doch nur in einer Fantasiewelt, lacht es mir entgegen, als ich auf eine dicht umdrängte Bühne hinzukomme, vor der eine Menge begeistert bis fanatisch im Chor johlt: Krieg! Krieg! Krieg! - Wo bin ich hier? Kann das wahr sein? Kann es in diesen aufgeklärten Zeiten der Post War II. Moderne wahr sein, dass junge Leute enthusiastisch Krieg! Krieg! Krieg! johlen? Auf und vor der Bühne des Videospiels War Hammer ist das möglich, was mir unmöglich erscheint. Baudrillards Analyse zum 1. Irak Krieg:

Er fand nicht statt, sondern es entfaltete sich ein nicht mehr Krieg zu nennendes Geschehen; dies zeige sich u. a. in der Form eines asymmetrischen Medienereignisses, bei dem die einen vor dem Fernseher sitzen und die Bombeneinschläge und die Zerstörung bei den anderen beobachten, wobei die einen Knöpfe zum Abschuss automatisierter Raketen drücken und die anderen das Leid der Zerstörung zu tragen haben,

konkretisiert sich in den Video-Kriegsspielen und zeigt die Cyberspace Soldaten der Zukunft: Auf dem Knautschsessel voller hedonistischer Spannung verfolgend, wie ihre Raketen in den Wohnsiedlungen der feindlichen Stadt einschlagen. Und noch immer lächelt es mir entgegen: Das ist doch alles nur ein Spiel.

Spiel, als Vorbereitung auf den Ernst des Lebens, ermangelt es an realen Rückwirkungen. Die digitale Technik, die sich spielerisch angeeignet wird, verschiebt die Rückwirkungen ihrer Anwendungen einmal mehr auf diejenigen, die nicht über sie verfügen. Angesichts dieses Entfremdungsschubes durch neuartige Digitaltechniken wird die zurückgedrängte Menschlichkeit nicht lange auf sich warten lassen, sich den ihr entrissenen Wirkungsraum wieder anzueignen, sei es nun durch Krankheit oder angenehmere, um nicht zu sagen liebenswertere Handlungsmöglichkeiten.


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