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Der große Kater

Eindrücke vom Filmset im Casino Interlaken für den Kinofilm „Der große Kater“ mit Bruno Ganz, nach einem Roman von Thomas Hürlimann, Regie: Wolfgang Panzer, 6. – 8. September 2008, DG

Der grosse Kater 
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Es ist Samstagnacht, kurz vor 0 Uhr. Die gut 100 Statisten wurden aus dem Festsaal, in dem das Frack Diner für den spanischen Monarchen und seine Gattin abgehalten wird, hinauf in die Essenspause entlassen, Würstchen mit Kartoffelsalat. Im Festsaal des Filmsets stellen sich ähnliche Effekte wie beim Psychodrama ein: Einerseits wissen die Statisten, in welcher Spielrealität sie sich befinden, andererseits in welche Lebensrolle sie in der Wirklichkeit innehaben. Soll heißen die Filmaufnahmen, das Set, der Dreh, lassen die Wirklichkeit mit ihren Rollen, die sie spielen, zerfließen. Ausstaffiert und ins rechte Licht gerückt, hier noch pomadisiert und dort noch zurecht gezupft, erscheint die einfachste Hausfrau als wunderschöne Fee und der arbeitslose Endvierziger als nobler Edelmann einer vergangenen Epoche, die sich in den oberen Etagen unserer Gesellschaft am Leben erhalten hat, zumeist von der Bevölkerung unbemerkt und dann wieder in märchenhafte Ferne entrückt, wenn Bilder von solch Gesellschaftsereignissen in der Boulevardpresse abgelichtet erscheinen oder, wie hier nachgespielt, auf der Kinoleinwand. Vielfältig sind die Nachahmungen solcher Gesellschaftsereignisse: Der Opernball, die Hochzeit in weiß, die Pause in der Oper. Seltener sind hingegen die echten Gesellschaftsereignisse, die sich in einem Zusammenklang von Staatsmacht und Gesellschaftsanlass zutragen. Ich behaupte damit, die Leute mögen sich auf ihren Festen noch so festlich ankleiden, sie werden allenfalls eine Maskerade zu Wege bringen. Kommt jedoch der Staat, durch seine Repräsentanten und Interessen hinzu, gestaltet sich das Ereignis in einer anderen, echteren Weise. Deshalb sind auch die kirchlichen Würdenträger von solcher Bedeutung: Sie zeigen sich als offizielle Repräsentanten einer Macht und Institution, die dem Staat gegenüber zu stehen scheint, eigentlich aber zur Vielfalt seiner Erscheinungsweisen gehört. Natürlich kreiert die Spielwirklichkeit der Filmaufnahmen zum Großen Kater Erinnerungen, insbesondere an meine Berliner Zeit als Freier Journalist, in der die Staatsempfänge und Konferenzen Tag auf Tag einander folgten. Erstaunlicher Weise spielt die Geschichte im politischen Bern des Jahres 1979. Sie ist insofern autobiografisch als Thomas Hürlimann, der Autor des gleichnamigen Romans, der Sohn des im Mittelpunkt stehenden Bundspräsidenten und Bundesrates fürs Innere ist, genannt der große Kater. Die Geschichte, die im Roman aufgeblasen wird, kreist um den Staatsbesuch des spanischen Königspaares. Den Höhepunkt bildet während des Staatsaktes eines Frack Diners, das entscheidende Tischgespräch, bei dem die Präsidentengattin ihren Mann vor dem Königspaar bloß stellt. Er würde mit dem Damenprogramm das Privateste, den in einer Klinik sterbenden Sohn, der Presse, der Politik und seiner Karriere zum Fraß vorwerfen. Es wird also das Private gegen das Öffentliche, die Amtsaufgaben und Pflichten gegen die Familie und die Mutter- und Vaterliebe ausgespielt. Ich sage nicht, dass es so etwas nicht gibt. Tatsächlich ist es das, was Prinz William und seine Freundin durchleben, was also in solchen Positionen ganz selbstverständlich ist, dass nämlich, wie auch im Fall Clinton/Lewinski, das Intimste zu einer öffentlichen Sache wird, weil sozusagen eine Verkehrung vorgenommen wird: das Private und Intime des Bundespräsidenten wird auf die Bühne gestellt und zum repräsentativen Vorbild für das Volk seines Staates. Entsprechend der Parteizugehörigkeit der Hürlimanns geht die Betonung des Familiären Hand in Hand mit religiösen Bildern. Der Roman und Film transportiert somit eine gehörige Portion christdemokratischer Ideologie. Der Autor Hürlimann wurde nicht nur von der Konrad Adenauer Stiftung der CDU ausgezeichnet, sondern führte auch Regie beim Welttheater vor dem Kloster Einsiedeln. Es ist also ein durchaus rechtskonservativer Roman und dementsprechend steht zu erwarten wird auch der Film. Mit seinen Bildern nährt er entsprechende Vorurteile und den zugehörigen Neid, die der Politik, den gesellschaftlichen Eliten und ihrem Gebaren gelten. Es soll ein Kinofilm werden. Mit welchem Aufwand dabei die Szenen nachgespielt werden, lässt mich immer wieder auf meine alte Idee des Dogma Manifests Ansatzes zurückkommen: Wieso sollte es nicht möglich sein, mittels kleiner Handkameras die originalen Anlässe zum Hintergrund einer Spielhandlung zu nehmen? Der Neujahrsempfang des Bundespräsidenten, die anschließenden Salongespräche zum Beispiel, in der sich die Durchführung eines Staatsstreichs vollzieht. Dieser Aspekt des Romans ist wiederum sehr spannend, zeigt er doch, wie ein Machtinhaber, der Präsident, durch Intrige, durch innere, ganz unpolitisch scheinende Privatangelegenheiten unmöglich gemacht wird und defacto sich in den Rücktritt getrieben sieht. Es ist sozusagen ein interner Staatsstreich, dessen Gewaltstrukturen der Öffentlichkeit kaum sichtbar sind. In der ersten Nacht des Filmsets kam über die Medien die Breaking News, dass in Deutschland Kurt Beck vom Parteivorsitz der SPD zurückgetreten ist, Müntefering an seine Stelle tritt und Steinmeier den Kanzlerkandidaten mimen wird. Aus der Perspektive eines Schweizerischen Frack Diners zeigt sich dies als obrigkeitshörige Ausrichtung der Partei auf die Anforderungen des kommenden Wahlkampfes. Alles bleibt beim Alten, die Hebel der Macht finden sich im Skandal beim Gala Diner, denn dort wird die wahre Politik gemacht.




DRS: Action …live vom Filmset

SF1: Dreharbeiten Der große Kater“ Sendung vom 9. September 2008

NZZ: Die Abrechnung mit dem großen Kater, 8. September 2008



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