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Der UNO Flop

UN Durban Review Conference, Genève, 20. - 24. April 2009, DGPeruaner

Urs Stoffolsky, Chefredakteur von Welten online, bat Sabrina Moserbacher per Email um 9 Uhr in sein Büro zu kommen. Sie war gespannt, was es geben würde. Es hieß, die Liechtensteinsche Stiftung, über die ihre Zeitung „Welten online“ finanziert wurde, habe wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise ihr Jahresbudget reduziert. Würde sie entlassen? Würde sie ihren Job, wie so viele andere Kollegen, verlieren, weil Blogger und non-commercial media die Werbeaufträge wegschnappten und nun die Krise in rasanten Schritten ihr übriges tat? Millionen standen schon auf der Straße, waren ohne Job, Einkommen und Aussicht auf Besserung? Wir haben Glück gehabt, meinte Urs, sie lassen uns leben. Im Hintergrund unserer Geldgeber stehen ein paar Ölscheichs aus Quatar. Sie pumpen ihr Geld in unsere Projekte hinein. Ihnen liegt etwas daran, dass es weiter geht. Ich möchte, dass du das weißt für deinen nächsten Auftrag: Durban II, Genf, eine UNO Konferenz gegen Anti-Rassismus, rassistische Benachteiligung und Fremdenfeindlichkeit. Urs machte eine Pause, guckte sie an: Dein Budget besteht aus 200 Schweizer Franken, meinte er trocken. Über dein Erfolgshonorar unterhalten wir uns später. Tschüss!

Sabrina grinste, warf ihr schwarzes Haar mit einer kecken Kopfbewegung zurück, leckte sich die Lippen, drehte sich auf dem Absatz mit einem: OK, mach ich. Tschüss, um und hinaus war sie. Urs mochte sie, aber als ein Mann in den besten Jahren, wie es hieß, hatte er bei solch einer jungen Frau, die noch alles vor sich wähnte, keine Chancen, meinte er. Dennoch genoss er es, sie in ihrem Team zu haben, sie anzuschauen zwischen all den Bergen aus schwarz gedruckten Wörtern und langen Reden. Ein Lichtstrahl, eine leuchtende Blume, eine Frühlingsduftbrise, die sich zusammensetzte aus jugendlicher Frische, Anmut und Smartheit, so dass er sich von ihr, oft verwirrt von ihrer weiblichen Schönheit und intellektuellen Brillanz, eingenommen sah. Immer wieder nahm er sich vor, sich von ihr nicht um den Finger wickeln zu lassen. Frauen waren schließlich die schlimmsten Schmeichler, vor denen schon Machiavelli gewarnt hatte.

Für Sabrina war diese UNO Konferenz für 200 Franken genau der richtige Job, nämlich unmöglich. Allein die Fahrt, die Unterbringung und Verpflegung würden ein Vielfaches kosten. OK: Risiko - über das Erfolgshonorar entschied nicht nur Urs, dachte sie, sondern die Radaktionssitzung und die Kollegen würden sie bestimmt nicht auf dem Trocknen sitzen lassen. Also, es war eine ziemlich sichere Sache. Offensichtlich wollte Urs jedoch etwas anderes, nämlich dass sie eine Low-Budget Reportage brachte, eine aus der Wir-da-unten-Perspektive. Als wenn sie ein Vermögen verdienten und reich wären, das war doch lächerlich. Ein Anflug von Bitterkeit ließ Zynismus in ihr gären. Der Schatten einer Wolke flog über ihr Gesicht und der abenteuerliche Glanz von Lebensfreude und Entdeckerlust verschwand.

Zu dieser Anti-Rassismus Konferenz würden einige NGOs kommen, das waren Leute, die hatten alle samt kein Geld. Natürlich, es gab auch reichlich gut ausgepolsterte NGOs, zumal auf diesem High Level der UNO. Die zogen mit und gleich mit den Diplomaten und den Ministerialen der Außenministerien, die in ihren permanenten Missionen bei der UNO ein feines Leben in Genf lebten. Dem gegenüber die NGO Vertreter. Ob es nun das WeltSozialForum, die Weltklima-Konferenz oder aber das Rio Earth Summit von 1992 war, die Leute, die zu solchen Konferenzen fahren konnten, mussten irgendwie besonders sein, ob mit oder ohne Geld.

Ihr Plan war klar: Sie würde per Mitfahrgelegenheit von Zürich nach Genf fahren und in Genf für fünf Nächte bei Freunden vom CouchSurfing unterkommen. Nach eine halben Stunde Internet Research lehnte sie sich enttäuscht in ihrem Bürosessel zurück: Die Schweizerischen Verhältnisse bezüglich dessen, was Fahrgemeinschaften und Mitfahrgelegenheiten betraf, waren steinzeitlich. Es lag auch nicht an der deutschfeindlichen Haltung der Schweizer gegenüber dieser nordischen Umweltinitiative im Verkehrsbereich. Ihr Eigenbrötlertum, mit dem sie sich gegen Überfremdung und den germanischen Kulturimperialismus verwahren wollten, galt ebenso den Franzosen, denn auch die französischsprachige Covoiturage konnte keine innerschweizerischen Mitfahrgelegenheiten anbieten. Vielmehr sprach Sabrina daraus eine völkische Haltung, an der die Errungenschaften der Umweltbewegung spurlos vorbei gegangen waren. Atomkraftwerke subventionierten die Schweizerische Bahn und der ungebremste Autoverkehr, befördert durch die Zinseinnahmen von Steuerfluchtgeldern und Mobutu Millionen, bescherte einen Wohlstand, der es selbst Studenten ermöglichte, per Bahn oder im eignen Auto zu fahren. Wozu also Fahrgemeinschaften bilden? Sofort kam ihr der SP Bundesrat Leuenberger in den Sinn. Was tat dieser für Umwelt, Verkehr und Energie zuständige Minister für die Förderung alternativer Projekte? Er bloggte über Winnetou bis Bankgeheimnis, but that it was. Sollte dieser Winkeladvokat doch Finanzminister werden. Es wurde echt Zeit, dass ein Grüner in den Bundesrat einzog, schimpfte sie und nahm eine Aktionstageskarte der Bahn. Hin und zurück 90 CHF. Es blieben noch 110 CHF, also 22 Franken pro Tag. Die Kantine der UNO in Genf war berühmt für günstige Preise. Und zwar angesichts eines hohen Preisniveaus, das mit Zürich sich mühte in der globalen Oberliga zu spielen. OK, sie würde sich eben immer wieder beschränken müssen. Aber was war das für in Leben? Anstatt sich ins Café zu setzen, hieß es, sich draußen auf die Bank zu setzen und mit dem Essen zu warten, bis sie sich wieder etwas kochen konnte oder in der Kantine bekam. Und damit war sie privilegiert im Verhältnis zu den anderen rund 3 Milliarden Menschen, die mit 2 US $ pro Tag auskamen. Allerdings hieß es sich nicht täuschen zu lassen. Die zwei US Dollar hatten eine Kaufkraft, die der von 22 Franken in der Schweiz durchaus gleich kommen konnten.

Die nächste Hürde bestand darin, in Genf Leute zu finden, bei denen sie über Nacht bleiben konnte. CouchSurfing und der Hospitality Club, diese Tramper und Globetrotter Organisationen, versprachen ein Dach über dem Kopf für Null. Yep, auf ihre ersten Anfragen kamen Absagen, schwupps, ab in den Papierkorb, dann kam nichts mehr. Tage später nahm Sabrina einen neuen Anlauf. Es konnte doch nicht seien, dass die Genfer nicht einmal antworteten. Sie hatten geantwortet, stellte sie fest, als sie zufällig einen Blick in ihre CS-Inbox für die Emails warf. Es waren sogar Zusagen dabei, nur, sie hatte keine Benachrichtigungen mehr in ihr Email Fach bekommen, weil eine der gelöschten Antworten in den Spam Folder gerutscht war. Jane und Tom, ein britisches Expat Pärchen, schrieben, sie hätten ein Gästezimmer und wohnten nur 10 Minuten vom Genfer Palais des Nations. Das versprach Ruhe nach einem langen Konferenztag. Super! Den drei anderen sagte sie dankend ab.

Akkreditierung: Sich durcharbeiten bis zu den Seiten, auf denen die Formalitäten für eine Medienanmeldung bei der UNO erledigt werden konnten, vermittelte einen ersten Eindruck vom Papierkrieg, der bei den Vereinten Nationen herrschte. Seit den Terrorangriffen von 9/11 hatten sich die Sicherheitskontrollen bei allen öffentlichen Politveranstaltungen verdreifacht, so auch bei der UNO. PressCard, Reisepass, Auftragsschreiben der Redaktion. Auf Nachfrage erhielt sie 14 Tage später eine Bestätigungs-Email der UNO, sie war zugelassen.

Nun mehr ging es an die inhaltliche Vorbereitung. Durban I, die dritte UNO Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische Benachteiligung, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Formen der Intoleranz, welch Wortungetüm, hatte sich anno 2001 als Flop erwiesen: Israel und die USA wurden scharf angegriffen und zogen ihre Delegationen von der Konferenz zurück, drei Tage später gingen die World Trade Türme in Trümmern nieder und verdrängten den Eklat um die Anti-Rassismus Konferenz. Die NGO-Konferenz von Durban I hatte die Wiederinkraftsetzung der UNO-Resolution 3379 von 1975 verlangt. Diese Resolution brandmarkte Zionismus als eine Form von Rassismus und Imperialismus, womit der israelische Umgang mit Palästinensern gleichgesetzt wurde mit den Praktiken des südafrikanischen Apartheidtsregimes. Sabrina staunte, das waren noch Zeiten. Die UNO Resolution 3379 war von den arabischen Staaten und 3. Welt Staaten angenommen worden. Hingegen stimmten die meisten westlichen Länder wie die USA, England, Frankreich, Deutschland gegen sie. Mithin wurden die reichen, mächtigen Staaten des Nordens überstimmt.

An diesen Mehrheitsverhältnissen hatte sich seitdem nichts mehr verändert. Zwar wurde die Resolution 3379 einige Jahre später wieder zurück genommen, so dass die Auseinandersetzung zwischen Juden und Palästinensern offiziell nicht mehr von der Mehrheit der UNO Vollversammlung als rassistisch eingestuft wurde, doch bei der Gegenüberstellung von Reich und Arm, von Macht und Ohnmacht blieben die industrialisierten Staaten des Nordens in der Minderheit. Unter dieser Perspektive zeigte sich der Nahost-Konflikt als eine Auseinandersetzung bei der die hoch entwickelten Industriestaaten den jüdischen Migranten halfen, einem unterentwickelten Wüstenstamm, den Palästinensern, ihr Land wegzunehmen.

Der Fokus der UNO Weltkonferenzen gegen Rassismus hatte sich mithin vom südafrikanischen Apartheidtsregime hin zum Nahost-Konflikt verschoben. Symbolisch stand der Nahost Konflikt nicht nur für die unmittelbar beteiligten Akteure, Israelis und Palästinenser, sondern für die arabische gegenüber der abendländischen Welt und schließlich für die ganze Masse der unterentwickelten 3. und 4. Welt gegenüber der ersten, insbesondere den USA und der Europäischen Union.

Sabrina wunderte es nicht, dass angesichts dieses Konflikts im Westen von namhaften Intellektuellen zum Boykott der Durban Review Conference aufgerufen wurde. Leute wie Pascal Bruckner, Ralph Giordano, Necla Kelek oder Peter Schneider wurden mit ihrem Boykott-Aufruf hoch stilisiert zu Sprechern der Interessen der Industriestaaten und Israels. Sie konnten auf handfeste Unterstützung maßgeblicher Kreise der globalen Eliten rechnen. Sabrina fand das erst einmal opportunistisch, feige und verlogen, weil sie die Meinung des westlichen Mainstreams wiedergaben. Sie summierten gegen die eindeutig Schwächeren Argumente auf, die das Recht und die hohe Kultur des Stärkeren belegten. Als sie dann bei ihnen per Internet Recherche reinschaute, erschrak sie. Diese Leute steckten in handfesten Auseinandersetzungen und bezogen wohl begründete Positionen gegenüber proislamischen Kräften, die sich antidemokratisch und integrationsunwillig zeigten.

Es war also eine Sache der Perspektive, wessen Leid, wessen Aggression, wessen Unrecht sie zu sehen bekam. Und ebenso war es eine Sache der jeweiligen Perspektive wie sie urteilte und ob sie Partei für die eine oder andere Seite nahm. Es war ein Krieg, ein Aufeinander Prallen von Kulturen, ein Kampf um jeweils berechtigte Lebensansprüche und diese Auseinandersetzungen pflanzten sich fort bis in den Elternsprechtag und die Gemeindeversammlung, in der ein Kopftuchverbot und der Moscheebau zur Diskussion standen.

Wenn im Westen die einen zum Boykott dieser Anti-Rassismus Konferenz aufriefen, dann ließ sich andererseits keine Gegenbewegung zum Boykott-Aufruf ausmachen. Attac, Autonome und linke Gruppierungen demonstrierten zwar gegen die NATO und auf dem Londoner G20 Gipfel, aber nicht gegen den imperialistischen Zionismus und das orthodoxe Judentum. Das machten vielmehr islamistische Gruppierungen. Insgesamt war der Nahost-Konflikt aus polit-ökonomischen Begründungszusammenhängen übergegangen in einen religiös motivierten Bürgerkrieg ohne feste Fronten, dafür mit Selbstmordbombern, Raketenanschlägen, den Mauerbauten eines Apartheidtssystems, dem Massaker von Sabra und Schatila, Streubomben und Landenteignungen.

In ihrem Presseverteiler landeten Emails des World Jewish Congress mit weiteren Aufrufen zum Boykott der Durban Review Conference. Diese Aufrufe richteten sich an Staaten, nicht an eine breite Bevölkerung oder an eine Massenbewegung. Sabrina wurde einmal mehr klar, dass sich diese UNO Weltkonferenz auf höchstem diplomatischen Parkett abspielte. In der Assembly Hall des Genfer Palais des Nations sollte etwas verhandelt werden, was in der Lebensalltäglichkeit in jeder Begegnung von Menschen aus verschiedenen Kulturen, Sprachräumen, Religionen, Rassen und Hautfarben vor sich ging: Die Wahrnehmung und Beurteilung des anderen, des Fremden. Und daraus sollte kein Rassismus, keine Benachteiligung, keine Feindlichkeit entstehen. Weil der andere anders war, sollte es weder zu Benachteiligungen noch zu Bevorzugungen kommen. Sabrina fühlte jedoch deutlich, dass sie Vorlieben hatte, Schönheit galt ihr viel und Sympathie ebenso. Außerdem war das doch immer eine ganz persönliche Sache. Andererseits, sie hatte erst einmal mit einem Schwarzen geschlafen. Sie wusste genau, was es für eine weiße Frau bedeuten mochte, mit einem schwarzen Freund gesehen zu werden. Solche Pärchen waren einfach Eye-Catcher. Das Andere, das Fremde fiel auf, zog automatisch die Aufmerksamkeit an und gab Anlass zu vielfältigen Gedanken und Äußerungen. War das schon Rassismus? Nein, das waren einfach Beweise für wenig durchmischte Gesellschaften, in denen so etwas noch auffiel.

Sie staunte nicht schlecht als sie in den Emails des World Jewish Congress (WJC) Auflistungen von NGOs zu lesen bekam, die als Beobachter und NGOs an der Weltkonferenz teilnahmen:

For the Durban II forum, the WJC is part of the
International Jewish Caucus, which also comprises the following
organizations: Anti-Defamation League, Australia/Israel & Jewish Affairs
Council, B'nai B'rith International, CEJI: A Jewish Contribution To An
Inclusive Europe, Conference of Presidents of Major American Jewish
Organizations, European Jewish Congress, European Union of Jewish Students,
Jewish Human Rights Coalition (UK), NGO Monitor, Simon Wiesenthal Center,
South African Jewish Board of Deputies, Women's International Zionist
Organization, and the World Union of Jewish Students.

Das waren einige und wahrscheinlich noch nicht einmal alle jüdischen Gruppen, die nach Genf kamen. Auf der anderen Seite, der arabischen, würde es ähnlich aussehen. Ja, wie bei einem Fußballspiel machte Sabrina Fanblöcke aus. Im Mittelpunkt stand die Ankündigung einer Rede des Iranischen Präsidenten Ahmadinejad. In den Medien wurde er als islamistischer Hardliner, als Hetzer gehandelt. In einer Rede hatte er den Holocaust verleugnet, was nicht nur Ausdruck des islamistischen Hasses auf Israel war, sondern ein Licht warf auf die innenpolitischen Verhältnisse des Irans. Anscheinend verlor die islamistische Revolution im Iran nach 30 Jahren an Zuspruch in der Bevölkerung. Die Leute hatten andere Sorgen als Koransuren und zwar Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, Perspektivlosigkeit und das in einem Erdöl reichen Land. Mit der Aussicht auf die Lösung dieser Probleme oder zumindest deren Abschwächung war Ahmadinejad in seinem Wahlkampf 2005 aufgetreten und in diesem Jahr standen wieder Wahlen an. Er hatte für internationale Aufregung zu sorgen, wollte er wieder gewählt werden. Die Kanalisierung der Enttäuschung und der Wut der Arbeitslosen, der Armen, der vielen Menschen ohne Zukunft in einem Land mit außergewöhnlich vielen jungen Einwohnern machte einen äußeren Feind wie Israel und die USA notwendig. Insofern waren seine Hasspredigten von einiger innenpolitischer Bedeutung.

Insgesamt schien diese Weltkonferenz vom Nahost-Konflikt eingenommen zu werden. Die chinesische Repression der Tibeter, die Unterdrückung der australischen Aborigines, die Verfolgung der Albinos in Tansania, die Repression der Alawiten in der Türkei und unzählige andere Konfliktherde wurden angesichts des Medienrummels um Ahmadinejads Rede ausgeblendet. Woran lag das? Was steckte dahinter?

Das waren gefährliche Fragen. Sie zwangen Sabrina, einen Blick auf das Weltjudentum zu werfen, als eine Deutsche, die mit der Kollektivschuld der Großeltern am Holocaust aufgewachsen war. Die Nazis hatten die Juden mit einer ausbeuterischen Weltverschwörung, dem Zionismus, diffamiert und das machten die Neo-Nazis weiterhin. Ihre anti-antisemitische Hetze richtete sich insbesondere gegen die jüdische Einflussnahme auf die Außenpolitik der USA. Die starke Präsenz jüdischer Gemeinden an der Ostküste der USA, ihre überproportionale Verteilung in höchsten Positionen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, beflügelten Verschwörungstheorien und schürten den Neid im Verteilungswettkampf. Wenn im Allgemeinen die Neiddiskussion verpönt war und als unschicklich galt und mit Hinweis auf Neid jedes Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit unterdrückt wurde, so war es in aufgeklärten Kreisen noch verpönter gegenüber den Nachfahren des Holocaust Kritik zu äußern. Kritik an den Juden wurde sofort in die antisemitische Ecke des Rechtsradikalismus geschoben. Für Sabrina galt wie für alle Deutschen, dass sie durch die Geschichte a priori befangenen war und hohe Schwellen zu überwinden hatte, um eine sachliche und konstruktive Kritik an Israel und den Juden üben zu können. Aufgrund der psychologischen Voreinstellungen lässt die Öffentliche Meinung in Deutschland Israel mehr an kriegerischen Untaten und ziviler Diskriminierung durchgehen und natürlich findet es sich eher auf der pro-amerikanischen, israelischen Seite.

Zudem zeigt das hohe Maß an Aufmerksamkeit und Mitgefühl, die der Terrorangriff auf das World Trade Center oder Selbstmordattentate in Israel nach sich zogen, dass das Judentum mehr mit der westlichen Kultur verwurzelt ist, als mit der morgenländischen. Sie werden eher wahrgenommen als Angriffe auf einen selbst. Hinzu kommen die ganz materialistischen und Macht beinhaltenden Aspekte: Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung für die eigene Kultur übersteigt bei weitem diejenige von Katastrophen in anderen Ländern, es sei denn es ist ein Tsunami.

Um so verführerischer es also war, den Verschwörungstheorien an eine weltbeherrschende Globalelite des Judentums aufzusitzen, um so deutlicher trat die Notwendigkeit hervor, ein solches Verständnis zu relativieren. Sie wollte sich einfach nicht zu einer Hilfstruppe von Neo-Nazis und islamistischen Hetzern machen lassen. Also, was ließ sich aus der Kultur und der Verwobenheit einer Ethnie mit unterschiedlichen Loyalitäten gegenüber Diaspora, jüdischer Gemeinde, dem Staat Israel und dem Geburts- und Heimatland lernen? Für sie waren die Juden nichts anderes als eine Minderheit, eine Ethnie in einer multikulturellen Gesellschaft. Und für eine solche galt, dass immer Formen von Austausch und ein Wechselspiel mit anderen Ethnien und der Majorität bestand.

Der große Tag der UNO Weltkonferenz gegen Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit kam. Es war Montag, der 20. April. Erst im Nachhinein realisierte Sabrina, dass eine seltsame Fügung diesen Tag mit Ereignissen und historischen Verknüpfungen heraus hob aus dem gleichförmigen Jahresablauf von 365 Kalendertagen. Am Vormittag begann die konstituierende Sitzung der Weltkonferenz mit der Wahl des Konferenzpräsidenten Amos Wako aus Kenya. Der Vorschlag kam von der afrikanischen Ländergruppe. Den Zuschauern entging nicht, dass es vor gängige Absprachen mit den anderen Ländergruppen gegeben hatte. Wakos Wahl fiel einstimmig aus.


Die Mitgliedsstaaten der UNO waren in Ländergruppen organisiert, so dass die Welt in fünf Großregionen untergliedert erschien. Europa, die USA, Australien und Neuseeland bildeten darin die Western European and Others Group (WEOG), zu der auch Israel gehörte. Bis zum Vorabend war es noch unklar, ob die USA doch an der Weltkonferenz teilnehmen würden. Insgesamt hatten 8 WEOG Länder den Boykott der Weltkonferenz erklärt. Der Rest der WEOG unter Stimmführung Frankreichs drohte die Konferenz zu verlassen, sollte es zu anti-semitischen Äußerungen durch den iranischen Präsidenten Ahmadinejad kommen. Besagte Rede Ahmadinejads war auf den Nachmittag angesetzt. Mit großer Spannung wurde sie erwartet.

Der Mann, der sie hielt, Ahmadinejad, wirkte auf Sabrina dunkel, nicht nur wegen der Haare, sondern vor allem wegen der Augen, die klein und wie glühend erschienen. Ihr war klar, dieser Mann war nicht nur ein islamistischer Hardliner, sondern ein hoch intelligenter, selbstbewusster Dogmatiker, ein Ideologe, der dazu neigen mochte, sich voller Leidenschaft für seinen Glauben heiß zu reden.

Einen Moment lang kam Sabrina die Vorstellung hoch, dort spräche nicht Ahmadinejad, sondern Adolf Hitler. Der hatte jedoch nicht nie vor dem Völkerbund, dem Vorgänger der United Nations, gesprochen, vielmehr trat Deutschland nach Hitlers Machtergreifung aus dem Völkerbund aus. Was aber, wenn Hitler seinerzeit vor dem Völkerbund gesprochen hätte? Eine müßige Frage ohne Antwort.

Ahmadinejad gab Sabrina jedoch vor allem zu denken, ob diese ungestüme Leidenschaft für seine Sache und sein Land, den kühlen Denker, den sachlich und rational entscheidenden Staatsmann hinfort riss in ein unüberlegtes Handeln, dass irreversibel Fakten schaffte und Kettenreaktionen in Gang setzte, die letztlich von niemandem gewollt waren. Aber auch diese Einschätzung war als beabsichtigt und von daher als Drohpotential uneinschätzbarer Willkür spontanen Handelns einzubeziehen. Sein Affront gegenüber Israel machte ihn nicht nur innenpolitisch im Iran zu einem Helden, sondern insgesamt in der islamischen Welt. Er übernahm die Rolle des Sprechers der radikal fundamentalistischen Islamisten und hatte mittlerweile wohl mehr Einfluss, als ein Muammar al-Gaddafi sie jemals hatte. Eine solche Rolle Ahmadinejads in der islamischen Welt bot allerdings auch eine Chance: Wenn mit ihm, dem Sprecher des radikalen Flügels der Organisation der Islamischen Konferenz, auf dem Verhandlungsweg Vereinbarungen getroffen werden konnten, dann bestanden große Aussichten auf dauerhafte Vereinbarungen.

Was aber sollten das für Vereinbarungen sein? Seine Rede und die Ereignisse während dieser, ließen keinen Zweifel daran, dass der Hass, der Krieg, die Verbitterung unüberwindliche Gräben und Hürden errichtet hatten. Gleich zu Anfang sprang ein Mann auf, zog sich eine rot, grün, blaue Clownsperücke über und bewarf, Ahmadinejad als Rassist und Faschist beschimpfend, mit roten Pappnasen. Die Assembly Hall erdröhnte von Zwischenrufen. Ein weiterer Protestler mit Clownsperücke war auf der Tribüne schreiend aufgesprungen. Während beide von Sicherheitskräften hinaus geführt wurden, sprach Ahmadinejad in einem monotonen Farsi Singsang, wobei die Übersetzung aus dem persischen Farsi ins Englische vor allem Lobpreisungen auf Allah hören ließ, um dann nach einem historischen Exkurs Israel als rassistisches Regime zu betiteln. Das war das Signal für die Vertreter der EU Ländergruppe. Geschlossen standen sie auf und verließen den Saal. Gleichzeitig lieferten sich auf den Tribünen Vertreter der verschiedenen NGOs eine Beschimpfungsschlacht wie in einem Fußballstadion.

Sabrina konnte nicht ausmachen, welche Gruppen sich in die Haare bekamen. Auf der Hand hätte gelegen, dass sich pro-israelische und islamistische NGOs beschimpften, doch wie sich später herausstellte, waren auch iranische Exilgruppierungen vor Ort. Ihnen bot die UNO Weltkonferenz eine Plattform hinweisen zu können auf die Menschenrechtsverletzungen eben dieses Redners und seines Regimes.

Unklarheit soweit das Auge blickte. Im Nachhinein war immer gut Reden, doch zum Zeitpunkt des Geschehens zeigte sich jedes Wort als eine wertende Deutung, als Parteinahme für die eine oder die andere Seite. Der Mainstream der westlichen Medien verteidigte natürlich den Boykott ihrer Länder, anderseits klatschten im Saal eine beträchtliche Menge an Delegierten zur Rede Ahmadinejads. Dies ließ deutlich werden, dass die Mehrheitsverhältnisse in der UNO nicht mit der globalen Medienoberhoheit und der Medien-Meinungsbildung übereinstimmte.

Als Sabrina am späten Nachmittag den Palais des Nations verließ, fand sich auf dem Vorplatz eine Tribüne aufgebaut. Jüdische Gemeinden hatten zu einem Gedenktag aufgerufen. Sabrina verstand das nicht. Zerrissen im Gemüt fand sie es unmöglich, dass nun auch noch die jüdischen Gemeinden mobil machten und auf den Holocaust hinwiesen. Als sollte das Verbrechen der Nazis der Rede Ahmadinejads entgegen gehalten werden. Das war doch nichts anderes als ein willkürlicher Akt, um vom Krieg und den Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen abzulenken. Tatsächlich fiel auf diesen 20. April Yom HaShoah, der israelische Holocaust Gedenktag. Es war auch Hitlers Geburtstag.


Eine Woche später, Redaktionssitzung. Am Tisch versammelt Urs Stoffolsky, Chefredakteur, die Journalisten Gerd Brandt, Sabrina Moserbacher, Ulrich Hartmann und die Neue, die Volontärin Julia Finger. Nach ermüdender Diskussion deutsch-schweizerischer Unterschiede der politischen Landschaft, ob sie weiterhin partei- oder aber, wie in Frankreich und in den USA, personenbezogen sei, demzufolge die Basisstimmung mehr oder weniger in der Berichterstattung Platz finden müsse, wandte sich Urs Sabrina zu. Sie saß auf heißen Kohlen. Vor Tagen hatte sie ihren Durban II Artikel rein gereicht. Keine Reaktion. Zudem ging es für sie um etwas: Sie brauchte Geld, ihr Konto war restlos leer geräumt und zur Debatte stand ihr Erfolgshonorar.

Urs: TOP 2, Sabrinas Durban II Artikel. Wortmeldungen? Schweigen. Gerd räusperte sich, dann: Ich meine, wir sind keine Tageszeitung. Wir können und wollen nicht mit den Eintagsfliegen von der Tagespresse mithalten. Unser Anspruch ist es, anspruchsvolle Informationen, Analysen in einen Gesellschaftsbereich hinein zu tragen, der ansonsten vom Tagesgeschehen nichts mitbekommt, weil die Leute sich längst frustriert abgewandt haben. Unsere Leute sind doch die, die den Fernseher, das Radio und die Tagespresse schon vor Jahren abschalteten. Leute, die irgend wann, irgend wie auf unsere web-pages stoßen und ins Lesen kommen, ins Ausdrucken und Weiterreichen. Lehrveranstaltungen, Schule, Krankenhaus, Toiletten, Arztpraxen, Studierstuben. Wir sind doch weitgehendst dem Verkaufsdruck, dem Zwang zur Kommerzialisierung enthoben. Insofern gefällt mir Sabrinas Geschichte. Sein Redefluss war wie das Ausatmen an sein natürliches Ende gekommen. Es passte zur Gruppensituation, denn Ulrich scharrte mit den Füßen: Also, ich war enttäuscht, Sabrina. Du hast schon andere Sachen gebracht. Ich habe mich echt gefragt, wo ist der ganze Elan, der Esprit der Situation geblieben? Da schicken wir dich nach Genf und heraus kommt eine wissenschaftliche Ausarbeitung: öde, langweilig, zusammen geschrieben aus Wikipedia Einträgen. Vor allem hab ich mich gefragt, wo sind diese ganzen Momente des Umdenkens, des in einer Situation Seiens und diese neu Verstehens geblieben? Immer wieder sprichst du vom Kriegscharakter der Abläufe, der Auseinandersetzung von islamistischen, jüdischen, exilierten iranischen und engagierten Menschenrechtsgruppen, aber von all dem kommt nichts rüber. Du hast uns nicht mitgenommen, du hast unseren Avatar Michael Welten nicht verwendet, du hast keine Liebesgeschichte oder sonst irgend eine Handlung gebracht, insofern weiß ich überhaupt nicht, was ich mit dem Text, diesem toten Geschreibsel, anfangen soll. Pack es in deine Skizzenmappe und verbuche es unter Flop. Kommt vor. Nicht alles gelingt. - Hey, hey, hey, das ist aber ganz schön deftig, tönte es tief von Urs her. Sabrina erzähl du, rechtfertige dich oder sag, was los war. - Nun, was soll ich sagen, als ich in Genf ankam, wurde ich überschüttet mit fremdartigen, neuen Eindrücken, die zudem nicht gerade friedlich waren. Ich konnte einfach nicht wie sonst einfach schreiben. Was ich auch geschrieben hätte, es wäre in der Situation eine Festlegung dessen gewesen, was vor sich ging. Mensch, ich habe mich noch nie mit der UNO befasst. Was erwartet ihr von mir? Ich möchte euch doch keinen Blödsinn erzählen. Also, habe ich es hinter her zusammen geschrieben. Gerd: Ja, das merkt man: Eine pure Fleißarbeit, eine Zwangsarbeit, weil du musstest. Ihr geht jede Freude des Moments, des Erlebens ab. Urs: Du hast dich also für deine Blödheit geschämt. Wisst ihr, meinte er an alle gewandt, mich ärgert das. Diese UNO bringt es fertig, uns mit ihrem hohen Anspruch, ihren Idealen, ihrem Gutmenschentum in die Knie zu zwingen. Dabei ist sie ein Saftladen, ein chaotischer Haufen, ein bürokratisches Monstrum, ein Selbstbereicherungsautomat für all jene, die darin sind und sich in gesicherter Position auf dem würdevollen Glanz eherner Ziele von Weltfrieden, Weltverbesserung und Menschenrechten zu betätigen meinen. Das sind deren Waffen zur Einschüchterung jeglicher Kritik. Sabrina, ich hatte gehofft, du würdest ein paar NGOs raus fischen und vielleicht sogar die Leute raus finden, die für den anstehenden Reformprozess der UNO von Bedeutung sind. Mir reicht da nicht dies Zufallsfoto von dem Peruaner im Anzug und mit nackten Füßen im Konferenzsaal und noch viel weniger die Point of Order Debatte der NGOs zum Abschluss. Deine Analyse, dass es diese aus dem Zivilbereich kommenden Akteure sind, die die UNO revitalisieren und ins Bewusstsein der Menschen bringen können, bleibt in der Luft hängen, wenn dann keine Namen und NGOs kommen. Versteht ihr, wir sind an einem Thema dran, bei dem das seit dem Völkerbund in feste Strukturen geronnene, in institutionalisierte Formen eingegossene Procedere der UNO – United Nations – versteht ihr? Das sind Staaten - herausgefordert wird durch einen Globalisierungsprozess dem eben genau dieser zivilgesellschaftliche Bereich fehlt. Jedes, auf dauerhaftes Funktionieren angelegte, demokratische Staatsmodell hat ein Zwei-Kammern-System. In der Europäischen Union ist diese zweite Kammer entmündigt und in der UNO noch nicht ausgebildet. Also, lasst uns gucken, wie das weiter geht.

TOP 3: Julia Finger, darf ich vorstellen …


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