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Hexenritt

schwarzes Bilsenkraut

eine Erzählung von Nora Dubach, Zürich im Januar 2010

„Hast du schon einmal Drogen konsumiert“: fragt mich Robert, während wir am See spazieren gehen und gegen Wind und Kälte ankämpfen. Wir sind auf dem Weg zum Bahnhof Züri. „Nein“: antworte ich mit grosser Überzeugung. „Warum sollte ich, ich führe ein aufregendes Leben, so etwas brauche ich nicht. Ich habe genug Fantasie. Wie kommst du darauf?“ Robert antwortet: „Ich war gestern zum Essen eingeladen, im Bücherregal stand ein Buch mit dem Titel „Liebestrunk“, unter anderem war darin Bilsenkraut erwähnt.“ Er schaut mich vielsagend an, als müsste ich wissen, was es mit diesem Bilsenkraut auf sich hat, doch ich habe keinen blassen Schimmer. „Bevor ich nach Hause fahre“, sagte er, „frage ich in der Apotheke nach dem Kraut. Kommst du mit?“ Und als Erklärung, für das, wovon ich keine Ahnung habe setzt er hinten an: „Ich besuche meine Freundin am Wochenende in Berlin, ich möchte mal was Verrücktes ausprobieren. Lotte macht bei so was natürlich nicht mit. Sie bringt sich mit speziellen Kräuterteemischungen und Duftstäbchen in Stimmung. Aber das ist nicht mein Ding.“

Nachdem Robert in der Apotheke seinen Wunsch geäussert hat, schauen uns die Pharmaassistentinnen ungläubig an, sie rufen die Apothekerin und die fragt unvermittelt erstaunt: „Wen wollen sie denn umbringen“, dabei lacht sie Robert mit ihrem leuchtend rot geschminkten Mund und mit einem verführerischen Augenaufschlag an.

Auf meine neugierigen Fragen hin erzählt mir Robert, auch bei Shakespeare sein das Bilsenkraut zum Einsatz gekommen. Hamlet und Lady Macbeth brachte das Gift des Krauts zu Tode. Unverhofft bin ich bei den Morden im Schauspielhaus gelandet. Nachdem mit dem Erwerb dieser geheimnisvollen Droge nichts zu machen war, zogen wir weiter von Apotheke zu Apotheke - ohne Erfolg. „Das muss ja ein wahres Hexenkraut sein, wenn man es uns nicht verkaufen will“, sage ich zu Robert, „darüber habe ich bislang weder etwas gehört noch gelesen.“

Heftig diskutierend laufen wir zum Bahnhof. Ich fahre in meine Villa an der Goldküste und Robert nach Luzern. Seit vier Jahren lebt er dort, ist im Bankwesen tätig. Sein Hochdeutsch hört sich so bittersüss wie „Berliner Weisse mit Schuss“ an. Der Schuss sind die wenigen Schwyzerdeutschen Wörter, die er total lustig ausspricht. Es amüsiert mich jedes Mal, wenn ich ihn Zürich treffe.

Zwei Tage später schreibt mir Robert eine Mail. „Liebe Evelyne. Ich habe in Luzern noch einmal versucht, das Bilsenkraut zu bekommen, aber auch hier ohne Erfolg. Dabei passierte folgendes: Für eine Kollegin hatte ich ein Geschenk gekauft, es ihr aber nicht eingepackt, also bat ich in der Apotheke um eine Tüte. Daraufhin ging die hübsche Assistentin nach hinten, holte den Chef, der sich aufgebracht verbat, dass ich nach so etwas frage. Er gebe mir ganz sicher nichts und das mache man in Deutschland auch nicht und überhaupt solle ich den Laden schleunigst verlassen. Völlig verwirrt verliess ich die Apotheke, wie du dir denken kannst. Lieben Gruss, morgen fahre ich nach Deutschland.“

Ich schüttele mich vor Lachen beim Lesen dieser absurden E-Mail. Ich habe mal gehört, weiss es nicht so genau, dass in einer sogenannten Tüte leichte Drogen sind, dafür wird anscheinend dieser Ausdruck verwendet. Zwei Wochen höre ich nichts von Robert. Ich mache mir schon Sorgen. Vielleicht liegt er im Koma oder ist bereits an einer Pflanzenvergiftung gestorben.

Unterdessen mache ich mich im Internet schlau, ich will mehr über dieses Hexenkraut wissen, das Robert in den Apotheken nicht kaufen konnte. Was ich lese lässt meinen Puls höher schlagen. Die Hexen waren wirklich Teufelsweiber. Die Kirche glaubte, dass man einen Stock nur als Bestandteil für einen Besen oder Wanderstock brauchte. Die Hexen, die man alte, böse Weiber nannte, wussten hingegen zu geniessen und zu leben. Sie kochten Schweineschmalz mit Bilsenkrautsamen und strichen diese Salbe auf den Stock und „ritten auf dem Besen“. Unterschwellig denke ich an Softpornos. Erst jetzt weiss ich, was es mit dem Hexenritt auf sich hat. Die Hexen strichen sich dieses Gemisch auf die Schleimhäute. Ganz bestimmt nicht ins Gesicht, da würde es ja zu stark in der Nase kribbeln, denke ich schmunzelnd. Um die Männer liebestoll zu machen, wendeten die Hexen diese „Flugsalbe“ an. So machten sie die Männer willenlos, sexuell zugänglich. Viele Hexen tanzten wie besessen, lachten laut, waren ausgelassen zum Unmut der Kirchenväter, die diese Weiber zum Teufel schickten, sie zu Tode folterten. Diese Gottes fürchtigen Männer hatten ja nicht viel zu Lachen, der tiefe Glauben verbot es ihnen, fröhlich zu sein. Zum Glück geht es heute weniger dramatisch zu, ohne den Einfluss der Kirche kann man sich berauschen. Ich merke, wie naiv ich bin. Mir genügen ein bis zwei Glas Wein. Als Kind glaubte ich, die Hexen könnten tatsächlich auf dem Besen sitzend fliegen und zaubern. Auch dass mir Sandmännchen schöne Träume bringt, in dem es mir Sand in die Augen streut. Das Bilsenkraut ist hochgiftig. Dem LSD sehr ähnlich. Schwächer dosiert, wird es in Salben und Massageöle angeboten oder als Räucherware mit einer narkotisierenden Wirkung. Im Kräuterladen „1001 Nacht, Land der Träume“ bekommt man, was das Herz begehrt über das Internet. Einige warnen, dass bestimmte Pflanzen süchtig machen können. Beim Durchstöbern und Lesen der Artikel geht auch bei mir die Fantasie durch. Mein Gesicht wird automatisch näher an den Bildschirm gezoomt, die Pupillen weiten sich. Ich hoffe, schlafen zu können, es ist bereits nach Mitternacht. Ganz allmählich befinde ich mich in einem Schwebezustand.

Das Einatmen der Dämpfe bewirkt Trance, Halluzinationen, man fällt in einen tiefen Schlaf mit sexuell eingefärbten Träumen, Herzrasen, Atemnot, Mundtrockenheit. Ich verspüre Durst und trinke gierig aus der halbleeren Mineralwasserflasche. Ich mache für heute Schluss. Morgen werde ich weiter forschen. In dieser Nacht hatte ich Albträume. Wen wundert´s? Gerüchte besagen, dass das Orakel von Delphi im Altertum seine Prophezeiungen unter dem Einfluss von Bilsenkrautdämpfen gemacht hat und nicht auf Grund der giftigen Gase, die aus den Erdspalten kamen. Die Kelten, Germanen und Griechen kannten das Bilsenkraut als Droge. Sie benutzten es als Initiationspflanze, mittels ihrer schritten sie durch das Tor zu Anderswelt, bei Ritualräucherungen kam es zu Bewusstseinserweiterungen. Man glaubte, durch die Lüfte zu fliegen, sich in Tiere zu verwandeln.

Das Kraut weckt meine Neugierde, macht mir aber auch Angst. Wo ist die Grenze? Ein lustvolles Ausprobieren kann schnell in die Sucht führen, man verliert sich in der Droge oder in der Sexsucht. Ich müsste einen Mann so sehr begehren, dass ich das Risiko einer Vergiftung oder gar den Tod in Kauf nehmen würde. Dazu müsste er umwerfend aussehen, mich mit seinem Charisma total in seinen Bann ziehen. Da dies nicht eintreffen wird, trinke ich weiter Tee und warte ab.

Wie war das noch mal mit dem Fliegen? Engel fliegen doch auch. Dabei sind sie so lieb und fromm. Sind Weihrauch und Myrrhe schuld an diesem Phänomen, diesem Zustand vollkommener Schwerelosigkeit? Natürlich können sie nicht fliegen, die Engel. Anatomisch sind sie fluguntaugliche Wesen. Sie sind Mittler zwischen Himmel und Erde, die Botschaften verbreiten, wenn man daran glaubt. Gut und Böse liegen ja so nah beieinander. Ich denke an Robert. Vielleicht sagt er gerade zu seiner Freundin:“ Komm mein Engel, verführe und verzaubere mich, du kleine Hexe.“



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