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Gemeinschaftsbildung

Schloss Glarisegg, Ende August 2010, DG

GruppeEs war eine seltsame Gruppe, stellte Sabrina Moserbacher lakonisch fest. Mit Michael Welten, ihrem Partner, besuchte sie einen Community Building Workshop in Schloss Glarisegg am Bodensee. Ihnen schwebte vor, für eine Welten online Geschichte zu recherchieren. Zwecks Auflagensteigerung sollte es ein Verriss Artikel á la Bild Zeitung und Stern über die Psycho Szene werden. Angekommen im Schloss, einem ehemaligen Waldorf Schulen Internat mit diversen Gruppenräumen und Mehrzweckhallen, stellten sie fest, es liefen noch zwei weitere Workshops: Ein Sky Dancing Tantra Jahrestreffen und ein Five Rhythm Dance Wochenende, so dass mit den Schlossbewohnern gut 100 Leute am Platz waren, mithin eine Ansammlung von Leuten, die der kritischen Masse eines Ashrams gleich kam.

Lag es tatsächlich daran, dass ein methodisches Moment ihrer Community Gruppe, frei nach Scotch Peck, darin bestand, unmittelbare Reaktionen im Kommunikationsablauf zu vermeiden? Zwischen jedem Redebeitrag dehnten sich mindestens zehn Sekunden, wenn nicht mehr, lautloser Stille und vor allem aufmerksamer Konzentration. Die Teilnehmer waren aufgefordert worden aufgrund ihres gefühlsmäßigen Impulses zu sprechen. Das führte dazu, dass sich das Gruppengespräch verlangsamte und oftmals eine lange, nachdenkliche, um nicht zu sagen kontemplative Stille nach sich zog. Zumindest kreierte es einen seltsam dumpfen, repressiven, die Gedankenwelt, die Welt der Fantasien eröffnenden Zustand. Repressiv, weil auf diese Weise vieles unausgesprochen blieb, wobei die Gedanken Sabrina vorgaukelten, sie erfassten die Realität und spiegelten ihr die Wirklichkeit dessen, was in der Gruppe ablief und was mit jedem einzelnen los war. Tatsächlich leistete ihre Vorstellungskraft das nicht, vielmehr erforderte es jeweils ihre Realitätsprüfung.

Dass der Workshop derart verhalten ablief, konnte allerdings auch an der Zusammensetzung der Gruppe liegen und ebenso an der stark von Götz Brase und seiner Co-Leiterin Sabine Bartscherer dominierten Gruppenleitung, obwohl es doch eine Gruppe ohne Leader sein sollte, stand zumindest in ihrer Seminar Ankündigung. In einer Pause plauderte Gruppenteilnehmer Lutz aus dem Nähkästchen: Der Däne Götz Brase sei kein unbeschriebenes Blatt in der Lebensgemeinschaftsszene: Als Schüler von AAO Chef Otto Mühl und Tamera und Zegg Gründer Dieter Duhm habe er eine Vita aufzuweisen, die jedem Orchester Dirigenten, 68er Prof oder Künstler von Rang und Namen gleich käme. Er wollte nun auf seine alten Tage hin eine Lebensgemeinschaft am Chiemsee gründen und kämmte dazu seine CB Gruppen nach geeigneten Leuten durch. Lutz selber überlege mit zu machen. Oh, das hieß schön artig sein und eventuell auserwählt werden. Er ist schon ein beeindruckender Mann, dachte Sabrina und fragte sich: Bin ich selber nicht auch ein beeindruckender Mensch? …. Für wen?, schien es ihr aus der leeren Mitte des Gruppenschweigens zurück zu fragen.

Tatsächlich stand in der Mitte des Gruppenraumes eine Vase mit Blumen, gelblich, Rosen, Sonnenblumen. Beate hatte Teelichter angezündet, so dass es ein wenig kultig werden konnte. Warum machte sie das so runter?, fragte sich Sabrina. Die Kerzenlichter gaben ihr doch etwas – Wärme, ein heimeliges Licht. ... Für wen? Für wen bist du wer?, fragte es noch einmal, bevor der Gedankenfluss zwischen Zuhören und Verstehen und der Sonnenblume und über Beate nachdenken sie zu Micha rüber schauen ließ. Es gab ihr einen Stich ins Herz. Er schaute Gabi an, ganz entrückt. In der Pause hatte er ihr gesagt, Gabi hätte ihm einen Flash Back verpasst. Bevor Sabrina ihn vor zehn Jahren auf Reisen in Indien kennen gelernt hatte, war er in Puna gewesen, im Osho Ashram. Sabrina, du glaubst es nicht, sagte er, aber sie sieht genau so aus. Sie sieht aus wie Viramo, ich kann nichts dafür. Gabis Erscheinung gaukelt mir ihr Bild vor und erinnert mich an diese Liebe. Verstehst du, es ist ein süßer Schmerz, ein Verlangen, sie in den Arm zu nehmen, sie wieder zu spüren. Es ist wie in Stanislaw Lems Roman Solaris. Gabis Ähnlichkeit mit Viramo aktiviert meine Erinnerung und ich reinszeniere meine Vergangenheit und du bist dabei, obwohl du doch erst viel später kommst. In diesem Gruppenraum dort, der zugleich ein Erinnerungsraum ist, stürzt der lineare Ablauf der Zeit in sich zusammen. Die Gegenwart ist die Zukunft und die Vergangenheit, alles in einem.

Es brauchte drei Gruppensitzungen über den Freitag Abend, den Samstag Vormittag bis zum Samstagnachmittag bis Sabrina nicht nur einigermaßen die Namen der Leute drauf hatte, sondern bis sich zwischen den einander fremden Menschen ein Beziehungsgeflecht entwickelt hatte. Das Gros der Gruppe bestand aus Singles bzw. solchen, deren Partner zu Hause geblieben war, zu drei Vierteln waren die Teilnehmer über 50 Jahre. In der Gruppe gab es drei Paarbeziehungen. Zum einen, so schloss Sabrina, um so älter die Leute, um so schwerer tun sie sich damit, sich auf neue Beziehungen einzulassen. Zum anderen, was war eine Gruppe, eine Gemeinschaft, denn anderes als ein lebendiges Beziehungsgeflecht von Ich und Du Beziehungen, also von Paaren? Ohne Frage, es gab ihr ein besonderes Gefühl, wenn sie zum Ganzen der Gruppe sprach, irgendwie war das, wie auf einer Bühne zu stehen und von allen gesehen und gehört zu werden. In Beziehung Sein und unmittelbare Reaktionen bekommen war etwas anderes und es fehlte ihr.

Schaute sie den Workshop als ein Ganzes an, so kam es ihr vor, als wenn der Kulminationspunkt, die Essenz dieses speziellen Workshops genau an dieser Frage des Von allen gehört Werdens hing. Bedeutender Weise war es ein Paar, Uwe und Rebecca, die zusammen ein Architekturbüro betrieben - er der erfolgreiche Architekt und sie die Managerin des Büros - die es auf diesen Punkt brachten. Rebecca nutzte die Öffentlichkeit der Gruppe, um Uwe unter Druck zu setzen und zu Maßregeln: Er habe ihr gedroht, wenn sie mit ihren Klienten über ihre Beziehung rede, dann würde er nicht mehr mit ihr arbeiten und ihre Beziehung, ihre Ehe wäre beendet. Micha sprang sofort darauf an: In einer echten Gemeinschaft also auch in dieser Gruppe ginge das nicht, ein Gruppenmitglied könne sich nicht zum autoritären Chef aufspielen und darüber bestimmen, ob ein anderes Gruppenmitglied hinausgeworfen würde. Erstaunlich war, das andere Gruppenmitglieder den Konflikt wohl mitbekamen, aber sich gar nicht auf diesen einließen: Draußen sei der Sonnenuntergang über dem Bodensee so wunderbar meinte die nächste Rednerin und Jens schob nach, es gäbe ihm wirklich ein friedlich liebevolles Gefühl die Hand seiner Sitznachbarin Jessica halten zu können. Den Leuten ging es um ihre eigne Situation in der Gruppe, sprich um ihr Allein und Isoliert Sein. Das, was die da oben spielten, hatte nichts mit ihrer eignen Lebenssituation zu tun. Die war vielmehr von repressiver Reaktions- und Impulszurückdrängung geprägt. Ein durchaus realistischer Zustand, hatten die wenigsten von ihnen doch die Mittel, vor allem Geldmittel, zur Verfügung, um in ihrem wahren Leben ihren Wünschen nachzugehen.

Die Gruppenkommunikation wurde immer zäher, das Schweigen immer länger. Götz griff zu seinem ultimativ letzten Mittel, dem Redestab, den er, wie er sagte, anwendete, wenn in der Gruppe nichts mehr passierte, sie sich quasi in aller Stille auflöste. Die Zwangskeule des Redestabs bestand darin, dass jeder der Reihe nach, sobald er den Redestab bekam, gezwungen war, zu sprechen und alle anderen sich die lange Reihe der Gruppenmitglieder anzuhören hatten. Allein schon deshalb gab ihn Sabrina einmal, ohne ein Wort gesagt zu haben, weiter. Sie faszinierte vor allem wie Rebecca und Uwe es fertig brachten ihre Paarbeziehung zum Gruppenthema zu machen. Die beiden erhielten quasi eine Gruppenmassage, in dem die verschiedenen Facetten ihrer Beziehung von den anderen gespiegelt wurden. Dazu gehörte auch, dass Micha für sie selbst ganz unerwartet plötzlich Uwes ziemlich hart wirkenden Satz an Rebecca aufgriff und auf ihre Beziehung anwandte. Uwe hatte in die Stille hinein hinüber zu Rebecca gesagt:

Vielleicht ist es an der Zeit, dass du deine Abhängigkeit von mir löst und als Managerin deiner eignen Wege gehst. Gudrun fasste das sofort als Beendigung der Beziehung auf, wohingegen Marcel in Uwes Worten einen Oberton von Liebe und Wohlwollen gehört zu haben meinte. Anstatt nun in der Gruppe auszudiskutieren, was Uwe gesagt hatte und Rebecca dachte, fühlte und tun sollte, überlegte sich Micha, am besten wäre es, Uwes Ball aufzufangen und auf seine Beziehung mit Sabrina anzuwenden. Sabrina traf es also aus heiterem Himmel als Micha sie direkt aus ebensolcher Stille in der Gruppe ansprach und fragte, wie es für sie wäre, wenn sie zu ihm sagte, es wäre vielleicht an der Zeit, sich aus der Abhängigkeit von ihr zu lösen. Und umgekehrt: Für sie wäre es an der Zeit, sich aus der Abhängigkeit von ihm zu lösen. Das saß. War sie abhängig von ihm? Und inwiefern war Micha von ihr abhängig? Es vergingen Ewigkeiten sich von Gedanken überstürzender Stille. Will er nun mit mir auch Schluss machen?, fragte sich Sabrina. An diesem Punkt schob Uwe in Richtung Rebecca nach: Ich habe nicht gesagt, ich wolle unsere Beziehung beenden. Wieder Stille, die Micha in Richtung Sabrina brach: Ich liebe dich! Ich brauche dich!

Plötzlich schallendes Gelächter. John, der gleichfalls Händchen haltend mit Carla die Gruppe meditierte und zur Single Fraktion gehörte, konnte sich kaum mehr einkriegen: Bravo!, meinte er. Zwischenapplaus für diese gelungen Aufführung! Schweigen. Es kam noch die Abschlußrunde und die Verabschiedung, die erstaunlich herzlich mit einigen Umarmungen für Sabrina verlief, dann hatte sich der Workshop, die Gruppe, das Geschehen in alle Winde verteilt und aufgelöst.

….

Der Community Building Workshop war vorüber und Sabrina und Micha auf Solothurn, besser gesagt auf Lüsslingen bei Verena und Daniel, ihrem Bruder, zu Besuch. Dementsprechend hatte sich die Szene um Sabrina her wieder einmal rundum total verändert, so, wie auf Reisen in einem Zug die Landschaft. Jetzt, zu Besuch bei ihrer Freundin und Schwägerin, die sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, gab es so einiges zu besprechen und auszutauschen. Verena war mit Daniel in Kanada gewesen und das befremdliche war, ihr kam es vor, als wenn die drei vergangenen Jahre überhaupt nicht stattgefunden hätten, sondern als sähen sie sich, wie auch sonst nach einiger Zeit, wieder einmal. Sabrina knüpfte quasi unmittelbar an ihren letzten Besuch in Lüsslingen an. Für Micha verhielt es sich noch einmal verschärft. Er kannte Verena kaum, sie war die Freundin seiner Freundin und Daniel ihr Bruder. Es fiel ihm relativ schwer zu den beiden einen Kontakt herzustellen. Er hatte sie einfach als ungemein bestimmend und sprachlos erlebt.

Wie mit großen Schritten ging Micha in der Zeit zurück, erinnerte den Besuch anlässlich des alternativen Gesundheitstages in Solothurn und den ersten Besuch bei Verena und Daniel direkt nach ihrer Rückkehr von ihrer zweiten Indienreise. Das war im Februar 2005. Überhaupt, der Community Workshop hatte eine Bresche durch das Dickicht seiner Lebensalltäglichkeiten geschlagen und den Blick freigegeben auf sein tantrisch meditatives Sanyasinleben vor 2005. Sabrina gefiel das gar nicht. Sie hatte Angst, Micha könne sie verlassen und wieder mit seinem Singleleben anfangen, in dem sie eine Statistenrolle gespielt hatte neben anderen Frauen und anderen Zusammenhängen, die sie nicht verstand und mit denen sie nichts zu tun hatte und haben wollte.

Im Gespräch mit Verena kamen ihr immer wieder Erinnerungsfetzen an das vergangene CB Wochenende hoch. Sie versuchte sie in Worte zu kleiden, wobei ihr Gedankenfluss ständig von den Ansprüchen der kleinen Kinder Verenas unterbrochen wurde. Wirkliches Reden war eigentlich nicht möglich. Gerade setzte sie an, diesen Moment zu beschreiben, als im Gruppenraum mit den 21 Leuten wieder einmal die Zeit stehen zu bleiben schien. Es war Sonntag Vormittag und die letzten Stunden des Workshops liefen. Sie schaute die Gesichter der Leute der Reihe nach an. Inzwischen hatten die Menschen Namen bekommen und sie eine Ahnung, wer dort saß, mit wem sie es jeweils zu tun hatte und schon ein paar Stunden später, am Nachmittag, würde diese Totalität der Gruppe und des Seins, in dem sie gerade mit diesen Menschen in diesem Raum steckte, in sich zusammenbrechen, wie der Saal eines alten Schlosses, dessen Dach ein Hurrikan abdeckte und dessen Wände vom Zahn der Zeit zerfressen und zwar im Zeitraffer bis auf die Grundmauern zerbröselten. Gerade sagte sie zu Verena: Mir war, als säße ich in einem Theater, in dem ich selber mitspielte in einem Stück ohne eigentlich recht zu wissen, was für ein Theaterstück das ist und gleich würde der Vorhang fallen und alles wäre vorüber und vorbei, auch diese Unerträglichkeit des Nicht Reden Dürfens, obwohl ich doch hätte etwas sagen können. Da wurde mir zum einen klar, was die Buddhisten unter Maya und die antiken Philosophen unter dem Satz: Das Leben ist ein Traum, verstanden, aus dem es aufzuwachen gilt, um sich aus der Welt der Illusionen zu befreien .... Weiter kam sie nicht, die kleine Anna weinte, sie war mit Bauchweh krank und Verena musste trösten, wohingegen Elias mit ihr draußen Ball Spielen wollte. Es dauerte also bis sie wieder in der Küche beieinander standen, um sich einen Tee zu machen. Maya, die Welt ist ein Traum, hast du gesagt, aus dem es aufzuwachen gilt. Bist du denn aufgewacht?, fragte Verena. Sabrina lächelte, eine leise Freude in sich spürend. Ihre Freundin hatte zugehört, hatte verstanden, hatte gehört, dass ihr da etwas ganz wesentlich war und dass dieses ganz Wesentliche auch zu ihr durchdrang, auch sie berührte. Ja, sagte ich mir, wenn diese Wirklichkeit, diese Totalität des Seins, in der ich mich gerade befand, schon in einigen Minuten vorüber sein würde, um abgelöst zu werden von einer neuen Totalität des Seins, nämlich dem Besuch hier bei dir, dem Zusammensein mit euch, dann …. Sabrina hielt inne. Weißt du, weiter kam ich nicht, doch in mir fragte es immer wieder: Was ist denn dann? Was ist jetzt? Was mache ich hier? Was mache ich hier in diesem Jetzt? Eine riesen Traurigkeit kam in mir hoch, besser gesagt, tat sich vor mir auf, wie ein riesiger, dunkler Schlund und Tränen stiegen mir in die Augen. Weißt du, während der Workshop da weiter lief und Micha und Götz und Stefan und Rebecca und Marlis sich die Kante gaben, versuchte ich ganz langsam auf diesen dunklen, schwarzen Abgrund zu zu gehen. Es war, wie eine zweite Wirklichkeit, wie ein Film, der gleichzeitig in mir ablief. Einmal war mir, als wenn sich eine Nebelschwade daraus zu mir hervor reckte, als wolle sie mir die Hand geben und mich hinab ziehen, befürchtete ich, doch die Hand öffnete sich, wie ein fliegender Teppich, der mich hinunter tragen würde. In dem Moment trieb es mir Tränen in die Augen und Angst, weißt du, die Angst in diesen unendlich tiefen, unbekannten Abgrund gezogen zu werden ließ mein Herz wie wild klopfen. Stückchen weise näherte ich mich ihm langsam weiter, es wurde auch heller, so dass ich mehr in dieses Nebel graue Wabbern, das aus tiefster Nacht zu kommen schien, hinein schauen konnte. Ich sah eine Gestalt aus der Tiefe hervor kommen, in meine Richtung, auf mich zu. Es war Micha. Er sah mich und winkte, ich solle kommen, sollte mit ihm da hinunter kommen. OK, sagte ich mir voller Angst, ich mach's. Als ich ihn erreichte, gab er mir seine Hand. Sie war ganz kalt. Ich schaute ihn erschrocken an. Er lächelte und nahm sie mit seiner anderen Hand, die war ganz warm. Komm, meinte er und ich ging mit hinunter, immer weiter hinunter. Es wurde dunkel, schwarz, wie die Nacht, aber auch wärmer. Hätte ich ihn nicht vor mir gehört und gespürt, ich hätte den Weg nicht gefunden. Dann hörte ich Klänge, Musik, aber vorher hatte ich noch etwas anders gehört, ein qualvolles Stöhnen. Ich lachte. Das war wie in diesem einen Osho Witz, wo jemand stirbt und in die Hölle kommt und die Katholiken sieht und hört, wie sie leiden und stöhnen und fragt: Wieso? und zur Antwort erhält, die wollen das so. Vor mir wurde es heller und um eine Ecke biegend, sah ich mich in einer weiten Höhlenhalle wieder, ein Feuer brannte lodernd in der Mitte und Menschen tanzten bunt geschmückt mit schwitzenden Leibern, glänzend, und leuchtenden Augen, als wären sie trunken von Glückseligkeit und von Dankbarkeit, um das Feuer. Mir kam das so unwirklich vor, so, als könnte jeden Augenblick etwas schreckliches passieren. Ich dachte an Michas kalte Hand und das Stöhnen, das ich gehört hatte und die Kälte und Dunkelheit, durch die wir gekommen waren.

Mir war ganz kribbelig zu mute, die Musik, die nackten, tanzenden Menschen, Unruhe ging mir durch den Körper. Ich fing an, mir die Kleider vom Leib zu reißen, denn mir war heiß und ich wollte tanzen. Wirf etwas hinein von dir ins Feuer, sagte Micha. Schon wollte ich all meine Klamotten hineinwerfen und ein langes weißes Haar von mir, denn es war heiß geworden und ich wollte tanzen, tanzen, doch Micha stoppte mich und ließ mir nur den BH für das Feuer. Im nächsten Moment schämte ich mich meiner Nacktheit, mir wurde kalt. Eine Frau kam und malte mir mit blauer Kreide ein Kinderstrichmännchen auf die nackte Haut der Arme, der Beine, einen Kreis auf den Bauch, einen kleineren auf der Brust und einen noch kleineren auf die Stirn. Eine andere Frau kam mit einer Farben leuchtenden Feder, steckte sie mir ins Haar, lachte beschwingt und glücklich, beide Frauen nahmen meine Hände und zogen mich tanzend zu den anderen und dem Feuer. Den BH hatte ich noch in der Hand, als ich einmal herum war, warf ich ihn ins Feuer. Poff machte es, eine weiße Wolke stieg hoch auf und du glaubst nicht, was ich da oben sah, weit oben, da droben über dem Feuer. Sabrina stoppte. Zum einen stand da Anna und wollte zu Verena auf den Arm, zum anderen … sie hatte sich von ihrer eignen Erzählung mitreißen lassen, wie die Erzählerin eines Witzes, die über ihren eigenen Witz lachte und nicht mehr wusste, ob sie bei den anderen noch ankam. Natürlich will ich das wissen, erwiderte Verena neugierig, während sie Anna auf den Arm nahm und wiegte. Lass mich raten: Einen Sternen klaren Himmel mit einem leicht orange leuchtenden Vollmond und der Milchstraße, so wie in einem Asterix und Obelix Heft auf der letzten Seite, wenn sie ihr Abschiedsfest feiern.

Sabrina schaute Verena prüfend an, dann, nach einem Moment: Nein, aber so ähnlich, nämlich ganz profan kam ich von meiner Tagtraumreise zurück. Ich sah einen Sonnenblumenkopf, ihren Teller der dunklen Samen und die gelb leuchtenden Blütenblätter, erst, als wäre ich eine Ameise, die in den blauen Himmel über sich schaut, dann steckte die Sonnenblume mit anderen Blumen in einer Vase und die stand in der Mitte des Gruppenraumes. Die 21 Leute schwiegen sich gerade wieder stumm und still. Du musst dir vorstellen, fünf Leute, die einfach nie oder kaum etwas sagten. Die meditierten mit geschlossenen Augen oder ich weiß nicht was ... hatten Angst. Überhaupt, die meisten waren über fünfzig Jahre und so voller Brast und Unzufriedenheit mit ihrem Leben, das sie nicht lebten oder leben konnten - wie eben in dieser Gruppe. Weißt du Verena, in dieser spirituellen Szene der PräPillenknick Generationen geht es aufs Altersheim zu. Die Leute haben sich eingerichtet und sind mit einer enormen Deftigkeit unwirsch und unzufrieden, wenn sie jemand aus ihrer ruhigen, komfortablen Situation holen will. Mir geht es ja nicht anders. Ich bin keine junge, schöne Frau mehr und die Männer sind auch keine jungen, ungestümen Helden mehr. Elias schrie, er war hingefallen. Verena gab Anna in Sabrinas Arm und ging hinaus, nach ihm zu schauen. Sie war froh über die Abwechslung, die ihr der Besuch ihrer alten Freundin ins Haus gebracht hatte.



PS: Die Namen wurden verändert und das Foto einem anderen Zusammenhang entnommen, das Gruppengeschehen ist anonymisiert und jede personifizierbare Ähnlichkeit zufällig. Sichergestellt wurde, dass sich nur die Beteiligten wiedererkennen können. Es handelt sich um die rein subjektive Wahrnehmung des Autors. Die intensiven Gruppenphasen des Durchleidens von Angst, Aggression und Frustration wurden als Abwehrformen zwecks Reduktion auf obige Darstellung ausgeblendet.





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