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Neues aus KaisersaschernAltstadt

Oberbürgermeister besichtigt Buchdruckerei D&G

Kaisersaschern im August 2012 von Sabrina Moserbacher

Wieder ein Termin, einer von vielen, die als Geschreibsel in seinem Notizblock vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Gab es etwas besonderes? Das war Ansichtssache. Uli kramte in seinem Gedächtnis. Das war gestern. Er fuhr mit dem Fahrrad und das zu diesen Druckern, für die es nichts anderes gab als bedruckte Seiten zwischen Buchdeckeln. Die Sonne schien, es war ein Spätaugusttag. Nach einer kurzen Hitzewelle entspannte sich das Wetter mit leichter Bewölkung und kühlerem Wind. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Aufzeichnungen von anderen Terminen. Wenn er sich diesem hier widmen wollte, hatte er alles andere beiseite zu schieben, zu verdrängen. Wie immer war das eine reine Kopfsache: Nicht auf dem Schreibtisch stapelte es sich, sondern in seinem Kopf. Er hatte Entscheidungen zu fällen, was wichtiger war. Von den Betriebswirten hatte er gelernt, wie in der Lagerhaltung die Dinge zu handhaben wären: First in, first out, stand dabei der Devise: Last in, first out, diametral gegenüber und bezog sich auf leicht verderbliche versus langlebige Waren. Wie dem auch war, er hatte einzutauchen in die Erinnerungen, wenn er sich an seine Geschichten machte und dazu hatte er alles andere sein zu lassen, sprich Ruhe zu finden. Zum anderen aber bestimmte sein Arbeitsvermögen auch die Lust an den Dingen, die bei ihm oftmals auf die Grenze seiner körperlichen Verfassung stieß, die widerum eine der Verdauung dessen war, was er im Laufe des Tages zu sich genommen hatte. Das entsprach erstaunlich den geistigen Inputs, die er zu verdauen, zu verarbeiten hatte.

Für die Buchdruckerei war der OBM Besuch die absolute Werbeveranstaltung, die Chance, in die lokalen Medien zu kommen und das quasi für Null. Quasi … Uli schwankte, ob er ein Fragezeichen setzen sollte oder einen Punkt, wenn nicht gar ein Ausrufezeichen, womit er den Charakter der Feststellung seiner Aussage betont hätte. Tatsächlich bedeutete der OBM Besuch einen erheblichen, betriebsinternen Aufwand, der sich irgend wie für das Unternehmen lohnen sollte, gestand er Doris, der jungen Tochter des Firmengründers zu. Es handelte sich um ein Familienunternehmen, noch zu DDR Zeiten gegründet und nach der Wende durch einen exklusiven Vertrag mit einem westdeutschen Medienkonzern in eine herausragende Marktstellung im regionalen Raum der Stadt gebracht. Doris, die Tochter, war nun mehr dabei, die Geschäfte des Vaters zu übernehmen. Nach vierzig Jahren harten Arbeitslebens wollte er in den Ruhestand abtreten, was aber nicht hieße, dass er sich gänzlich zurück zog und sie machen ließe, kam heraus als er sich dem OBM im persönlichen Gespräch erklärte, während sie alle drum herum standen und gafften, wie die beiden Kontakt zueinander fänden. Überhaupt, Uli meinte gehört zu haben, der Firmenchef und in diesem Fall Vater seiner erbenden Tochter, hätte nach einem passablen, vertrauenswürdigen, Erfolg versprechenden Nachfolger gesucht, der gleichzeitig der Partner seiner Tochter hätte sein sollen, aber er fand keinen. Unerwähnt ließ er seine daneben stehende Tochter, so dass Uli sich empörte, Doris sei völlig von ihrem Vater übergangen worden, da er sie ja mit keinem Wort dem OBM gegenüber erwähnte und das angesichts solch einer Frage, wie der eines Lebenspartners. Wir waren doch nicht in Indien, wo die Eltern die Kinder standesgemäß verheirateten, ärgerte er sich. Uli hätte sich an ihrer Stelle ziemlich beleidigt und zurück gesetzt gefühlt. Selbstverständlich ließ sich Doris mit keiner Miene etwas anmerken, jedenfalls sah Ulis prüfender Blick keine Reaktion in ihrem hübschen Gesicht, so dass er mit seiner Vermutung, es läge eine tief greifende Verstimmung zwischen Vater und Tochter vor, ebenso gut auf dem Holzweg sein konnte. Zumindest mobilisierte der Umstand der ledigen Geschäftsführerin in Spe bei Uli einige Fantasien, deren Inhalt sich aus Märchen und alten, vor allem Handwerkergeschichten zusammensetzte. Meist ging es in solchen Geschichten um einen Gesellen auf Wanderschaft und aus mittellosen Verhältnissen, der eine vortreffliche Partie durch Einheiratung machte und zwa entweder durch Mord der betrügerischen Ehefrau des Meisters oder durch Verführung der unschuldigen Tochter. Zumindest sollen solche Ehen bei den Handwerkern weder unüblich noch zum Nachteil des Hauses und der Meisterwerkstatt gewesen sein.

Gerade eben diese, das Handwerk umspielende Fantasie hatte ihren Grund und gleichzeitig ihre Repräsentanz im Präsidenten der Handwerkskammer, der den Besuch des Bürgermeisters, sekundiert von seinem ersten Sekretär, begleitete, eigentlich vorbereitet hatte. In seiner kurzen Begrüßungsansprache betonte der Präsident der Handwerker, dass der OBM regelmäßig Unternehmen und Handwerksbetriebe besuche und sich vor Ort informiere, was in der städtischen Wirtschaft vor sich gehe. Diesmal habe die Handwerkskammer die Buchdruckerei D&G ausgesucht und damit ein mittelständisches Unternehmen von fast 50 Mitarbeitern in einem für die Stadt bedeutsamen Marktsegment, dem Buch- und Verlagsbereich.

Vor seiner Ansprache, als sie wartend zusammen standen und Small Talk mit der zukünftigen Geschäftsführerin hielten, hatte sich der Präsident förmlich in Lobeshymnen bezüglich des OBMs überschlagen. Seine Frau, meinte der Präsident, schwärme regelrecht für den OBM und zwar nicht nur, weil er wie fürs Fernsehen geschaffen telegen und attraktiv wäre, sondern weil er genau jene dynamische und freundlich Stimmung verbreite, die es in dieser Stadt bräuchte. Doris widersprach ihm nicht, pflichtete ihm vielmehr bei, was Uli jedoch den Eindruck machte, ihr Anliegen sei es, sich gut wie italische Inseln gegenüber einem Kreuzfahrtschiff mit erheblicher Verdrängung vor der herannahenden Autorität des Oberbürgermeisters zu positionieren. Dasselbe, fand er, galt auch für den Handwerkspräsidenten, denn ein so offenes, klares Lob ließ keine Zweifel aufkommen, wobei Uli nicht klar war, welche Abhängigkeitsverhältnisse der Handwerkskammer und ihres Präsidenten gegenüber der Stadt und diesem OBM bestanden. Kurz: Uli sah er in der ganzen Veranstaltung einen Vorwahl Event, in fünf Monaten standen die Direktwahlen des OBMs an. Zu diesem Zeitpunkt übten, zumal in Gegenwart der Presse, die Uli repräsentierte, solche Aussagen ganz entscheidenden Einfluss aus. Für den Handwerkspräsidenten waren die Würfel - alea iacta est – gefallen und der Rubikon längst überschritten. In seinem Wahlkalkül musste der amtierende OBM einfach das Rennen machen, denn die erwarteten Mehrheitsverhältnis des Kaiserascherner Parteiengefüges ließ nicht zu, dass anstatt des SPD Kandidaten entweder der CDU Kandidat auf der Rechten oder die Kandidatin der Linken auf der Linken Chancen hatten. Da es insbesondere der offiziellen Staatspropaganda nach um die harsche Ausgrenzung der als SED Nachfolgepartei angesehenen Linken ging, blieb als Konsenskandidat nur der amtierende SPD OBM. Subversive Unterstützung bekam dies auch aus den bürgerlichen Quellen der religiösen Institutionen, sprich die kirchlichen Akteure segneten den oder die Kandidatin ihrer Wahl ab und den Machtverhältnissen nach war das die Vorentscheidung gegen die im Lande wie in den Städten kaum etwas zu erreichen war. Um die aktuelle Verstrickung des Klerus und der kirchlichen Würdenträger mit dem Staat und seinen Kandidaten zu belegen, reichte es auf das Staatsoberhaupt, den Bundespräsidenten Gauck, gleichfalls ein vormaliger Pastor, hinzuweisen. An dieser Stelle sah Uli spottend sehr wohl die Umrisse des christlichen Gottesstaates Deutscher Nation aufscheinen, auch wenn der Terminplan des Bundespräsidenten anläßlich seiner bevorstehenden Antrittsreise ins Bundesland Sachsen keine kirchlichen Veranstaltungen bis auf den Besuch der Frauenkirche zu Dresden vorsah.

So klar, wie nun die Wiederwahl des SPD Oberbürgermeisters aus den Mehrheits- und vor allem Vermeidungswünschen schien, hieß dies nicht, dass der OBM unbestritten gewesen wäre. Es gab diverse Skandale in Kaisersaschern. Der letzte bestand in der Restitution von Immobilien, bei der sich Stadtangestellte gewisse Vorteile erwirtschafteten und insbesondere ein befreundeter Rechtsanwalt des OBM federführend gewirkt haben soll. Dementsprechend flüsterte man sich Korruptionsvorwürfe auf höchster Ebene hinter vorgehaltener Hand zu. Davor war es der Geschäftsführer der Wasserwerke im Verbund mit den Banken, der riskante Börsengeschäfte mit dem ihm anvertrauten Vermögen unternahm und für deren Verluste die Stadt nun mehr gerade zu stehen hatte. Es sei ein System der Korruption, Mauscheleien und Bevorteilungen, die sich unter diesem OBM ausgebreitet hätten wie ein Krebsgeschwür, schimpfte der Kandidat der CDU, seines Zeichens nach ein Oberstaatsanwalt und versprach eine grundlegende Säuberung und Befreiung von diesen Übeln in der Stadtverwaltung. Doch mehr als eine oppositionelle Pflichtübung stellten solche Anwürfe nicht dar, wobei die Leute sie aus dem Munde des Herausforderers eh als Wahlkampfgepolter verbuchten.

Uli war zu wenig vertraut mit der lokalen Politik, als dass er sich ein objektiveres und in diesem Fall ein Verständnis aus eigener Anschauung hätte machen können. Er bezog seine Informationen, wie jeder andere auch, aus Zeitungsmeldungen. Zudem war er überzeugt, dass, wenn er sich mit einem der Betroffenen unterhielte, dieser ihm bestimmt keine Detailles von unlauteren Machenschaften mitteilte. Wie also war an solche Informationen heran zu kommen? Die Kollegen vom investigativen Journalismus hätten ihm dazu erst einmal gesagt: Teamwork und dann setzt man sich als Fährtenleser auf die Spur. OK, was war das also für ein Abdruck auf dem Boden augenscheinlichen Mediengeschehens bei diesem Unternehmensbesuch? Wie nahm er den OBM wahr? Gute Frage, denn der Meinung des Handwerkspräsidenten, der OBM sei attraktiv, symphatisch, telegen und verbreite eine angenehme Stimmung, ließ sich nur rund um bestätigen. Doch genau bei letzterem fand Uli ein Haar in der Suppe: Natürlich lief der OBM Besuch dieses Famlienunternehmens auf die Begegnung des obersten Dienstherren aller städtischen Betriebe mit dem Chef von D&G hinaus, wobei alle Anwesenden neugierig schauten, wie die beiden miteinander konnten, und wobei der Handwerkspräsident, einem Fußballstürmer des Lokalvereins 1. FC Schraubenschlüssel glich, wenn er nach der Lücke spähte, einerseits, um das Ganze, wie er meinte, aufzulockern und durch seine Inputs zu bereichern, andererseits, um die Bedeutung seiner Handwerksammer herauszustreichen. Der OBM war solche Art des Lobbyismus gewohnt, Geber Senior hingegen nicht. Gebauchpinselt von der historischen Bedeutung, die ihm mit seinem Lebenswerk im Gefüge seiner Vaterstadt durch den Besuch des Bürgermeisters zu Teil wurde, war er von den auf ihn gerichteten Kameras der Fotografen und des Kaiseraschernen Stadtfernsehens bis zu Schweissperlen auf der Stirn in ultimative Erregung versetzt.
Da es sich um ältere Herrschaften handelte, die noch eine lebendige Erinnerung an die Jahre des real existierenden Sozialismus in sich trugen, lag es nahe, dass Uli in der Handhabung ihres Autoritätskomplexes sah, wie Geber Senior der Rolle des OBM den gestrengen Politfunktionär unterschob, der genehmigend und verbietend über die übergeordneten Geschicke seines Unternehmens entschied. Durchaus mochte das der Grund der freundlichen, alles gut heißenden Art des OBM sein. Für ihn gab es den planwirtschaftlichen Dirigismus genauso wenig wie die Drohung mit der Staatsgewalt, weshalb er jeden noch so kleinen Eindruck verbietender, nicht gut heißender Autorität durch aufmerksamen Charme und sympathisierendes Interesse zu vaporisieren suchte. Man überschlug sich also beidseitig mit Nettigkeiten und mit Anerkennung und Hochachtung und das grenzenlos. Als dem OBM ein druckfrisches Automagazin mit einem Benzin fressendem Super High Vehicle gezeigt wurde, fand er das genauso gut, wie das Anleitungsbuch zur Steuerflucht und den Report zum Stadtwerkeskandal. Ohne die Miene zu verziehen oder auch nur einen Deut von seiner alles bejahenden, gut heißenden Stimmung abzugehen, ließ er sich mit dem Firmenchef und dessen Produkte für die Titelseite der Stadtzeitung fotografieren. Uli fand diesen kompromisslosen Opportunismus bewundernswert: Um jeden Preis Zustimmung erwerben und zwar von diesem Firmenchef und nicht etwa von den Kollegen im Pausenraum. Dort saßen rund 9 Männer bei Brötchen und ´nem Kaffee als die Entourage des OBM samt Firmenchef eintratt und sich nach der Stimmung erkundigte. Was sollten diese Männer sagen? Natürlich war sie gut und der oberste Dientsherr aller Stadtangestellten blieb in seiner Rolle neben ihrem Chef, kein Ausbrechen war möglich, keine Frage, ob es denn eine Personalvertretung hätte. Alles war gut, es gab keine Probleme, es war ein Familienunternehmen und gab es Schwierigkeiten, dann wurden die persönlich geklärt, erläuterte Doris Geber später, man bräuchte in ihrem Betrieb einfach keine Betriebsräte, völlig unnötig. Nachdem der OBM und der Chef auf ihrem Betriebsrundgang aus dem Pausenraum weiter ins Lager gingen, kam Uli, fast heimlich noch einmal zurück zu den Arbeitern im Pausenraum, setzte sich in seinem feinen Zwirn an den Tisch der Arbeiter in ihren Blaumännern und fragte nach. Sie wollten nicht rausrücken, es gab nichts, was man hätte an die große Glocke hängen wollen und wodurch ein Streit mit der Geschäftsleitung entfacht worden wäre. Bezüglich Personalvertretung wurde nur verschmitzt gegrinst.

Spätestens in dieser Situation wurde die Gesellschaftshierachie, in der sie sich befanden, überdeutlich anhand der unterschiedlichen Kluft: Blaumänner, Anzüge mit Krawatte, Deux Pièces und diese Aufmachungen, um so höher in der Gesellschaftspyramide, um so mehr von formvoll bis legère zwischen Freizeit- und Arbeitsansprüchen alternierend, sprich beides zu einem lebensfrohen und angenehmen Äußeren kombinierend. Tatsächlich brachte Uli das der Macht als Journalist über die Schultern Schauen, das ganze Spektrum von oben und unten, von drum herum und in der Mitte zu Bewußtsein. Ihm schien die Daumenregel zu gelten: Um so festgelegter in der Funktion und Rolle, um so weniger beweglich, um so beschränkter, um so an- und eingepaßter an die vielen anderen Menschen auf gleichem Niveau oder positiv formuliert: Um so freier und abwechselungsreicher in der Funktions- und Rollenwahl, um so besser, um so lebenswerter, gesünder, schöner, interessanter, attraktiver war die Arbeit und das Leben mit all seinen Möglichkeiten. Das Erstaunliche war, dass ihm diese Einsicht nicht beim Bummeln durch die Einkaufsstraßen von Kaiseraschern kam, sondern bei einem Betriebsrundgang. Ergo: Erst durch die Sphäre der Arbeit zeigte sich, wer man war. Eine Einsicht, die eine vorläufige Antwort lieferte auf die ewige Menschheitsfrage: Wer bin ich? … und wenn nicht, wie wenig? in einer neuen Variation auf Precht.

Im Lager, diesen betrieblichen Verliesen und Gewölben, kam die Sprache auf die letzte Innovation des Unternehmens, das Online Geschäft. Es zeige sich boomend und lukrativ und ein Ende sprudelnder Werbeeinnahmequellen sei nicht in Sicht, womi der Alte an seine Tochter Doris übergab, die den OBM nun mehr wagte zu einer kleinen Erfrischung nach oben, ins Arbeitszimmer, sprich Hinterzimmer des Alten einzuladen. Dort gebe es die Gelegenheit noch in vertraulicherer Atmosphäre miteinander zu reden. Die Presse war damit ausgeladen und Uli zog von Dannen, wobei er sich von Doris verabschiedend zum Ausdruck brachte, er könne gar nicht verstehen, dass sie noch nicht unter der Haube und Mutter vieler Erben sei, was sie zu der mit einem süffisanten Lächeln unterlegten Antwort verleitete, ihre Lebenspartnerin und sie überlegten, ein Kind zu adoptieren und zwar ein Mädchen.




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