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Sind wir die höfische Gesellschaft ? - oder: Kabale und Liebe in Leipzig



Premiere, Schauspiel Leipzig, Regie: Georg Schmiedleitner, 15. Feb. 2014, DG

Premiere eines alten Schillerschinkens im Leipziger Schauspiel. Gesehen im Publikum der Oberbürgermeister Jung mit Frau, die Uni Präsidentin Schücking - allein, und der Kulturbürgermeister Faber, auch allein, der Hauptdarsteller krank, mit Fieber dennoch auf der Bühne, ein Held Dank Pharmaindustrie, eine weitere Schauspielerin im Krankenhaus kurzfristig ersetzt. Doch geht es darum? Geht es darum, was gerade aktuell den Ablauf der Premiere bombardiert und die Aufführung verhindern will? Oder anders gefragt: Sind das die alten Gesellschaftskräfte, die
verhindern wollen, dass dies Stück auf die Bühne, vor das Publikum kommt, steht es doch stellvertretend für das Volk?

Eine stark reduzierte Bühne, dunkel, eine Drehbühne auf der sich zwei weitere drehen und eine kleine anbei, fast ein mechanisches Uhrwerk, das sich allerdings im Uhrzeigersinn



Szenebild Kabale und Liebe


dreht und nicht zurück, in die Zeit Schillers, hin zur Uraufführung in Frankfurt / M., 1784, fünf Jahre vor der französischen Revolution, einer Revolution, die in Frankreich die ständischen Unterschiede zwischen Adel und Bürgertum hinwegfegte, nicht zu letzt durch die Guillotine, die tausende von hoch erhobenen Köpfen rollen ließ. Dass dieses Stück also fünf Jahre vor der Revolution in Deutschland, in Frankfurt am Main, auf die Bühne kam, musste von besonderer Brisanz gewesen sein und konnte nur in einer bürgerlichen Stadt wie Frankfurt geschehen. Man hat sich diesen Affront vorzustellen, der sichtbar auf die Bühne brachte, wie es um die herrschenden Verhältnisse im Herzogtum Württemberg, also in Stuttgart, stand und wie es in den deutschen Landen im allgemeinen im klar abgegrenzten Verhältnis von Bürgertum zu spätem, absolutistischen Adel zu ging. Deutlich wird dieser Affront, der Mut des Autors und der damaligen Intendanz 2014 in Leipzig nicht. Durchaus wird dieses Schillerstück gekonnt, sprachlich ein wenig auffrisiert, modisch angepasst und bühnenbildnerisch in die Moderne gehoben - ich sagte nicht: Runter gespielt, inszeniert und schließlich vom Bildungsbürgertum beklatscht. Gar nicht, ganz im Gegenteil: Saubere Arbeit. Und dennoch, da fehlt etwas. Es fehlt die Brisanz, der Eklat, die gesellschaftliche Auseinandersetzung, der Anspruch auf Veränderung, der theatralisch vorgetragene Gesellschaftskampf um gleiche Rechte. Kurz: Nimmt man das Schillerstück wie es ist, den Text, wie er nun mal seinerzeit formuliert wurde, dann beschreibt er nichts anderes als das, was einmal war, ohne jedoch zu vermitteln, was da einmal war. Freilich, es vermitteln sich Ahnungen dessen, ein gewisses Geschichtsbewusstsein wird reaktiviert und ein wohlwollendes Verständnis macht sich breit für die Leistungen der Vorfahren in ihrem Bemühen, ihren Kämpfen um politische, gesellschaftliche Emanzipation, die schließlich nicht Halt macht vor so etwas zeitlosem wie der wahren, reinen Liebe, einem Romeo und Julia Thema.

Aber ist es mit Ahnungen getan, die einer Reinszenierung von Schillers Kabale und Liebe genüge täte? Nein, wir haben ein Recht auf mehr, nicht zuletzt weil Schiller aus seinem Grabe heraus selbst mehr fordert als nur diesen schwachen Abglanz längst vergangener Auseinandersetzungen um Gesellschaftsveränderung. Es drängt förmlich aus dem Urgrund dieses Stücks an die Oberfläche, wird aber zurückgehalten, denn es soll nicht, auch heute nicht, bewusst werden, soll nicht sein. Warum nicht? Ganz einfach, wir identifizieren uns mit den Guten, mit den tragischen Gestalten dieses Stückes. Wir kommen gar nicht auf die Idee, uns in die Rollen der Bösewichte, der Herrschenden zu versetzen. Allenfalls ließen sich die damaligen Standesunterschiede übersetzen in die gegenwärtigen Reichtumsunterschiede: Banker, die Millionen an Boni und Gratifikationen abkassieren, und auf der anderen Seite ein elender Streit um einen Mindestlohn. Aber das wäre zu einfach, eine solche Tradierung in heutige Gesellschaftsunterschiede wäre zwar stimmig, aber entließe die meisten, ohne sich in der Rolle des verabscheuungswürdigen Bösewichts entdeckt zu haben.

Anders sähe es aus, wenn die Regie den Mut und vor allem das Verständnis für die gesellschaftliche Brisanz des Stückes gehabt hätte und dem Publikum eine heutige Bürgerstochter, die einen heutigen, adligen Herren zu heiraten wünschte, zeigte, nämlich zum Beispiel eine Schwarze, die einen Weißen liebt, doch das wäre fast schon obsolet nach Obama, aber wie sieht es mit einer Russin aus oder einer anatolischen Türkin, einer gerade immigrierten Syrerin oder einer Inderinin, alle wohlgemerkt aus unbegüterten Verhältnissen kommend, einzig durch Schönheit und Jugend auffallend? Wir sind nämlich die höfische Gesellschaft im Verhältnis zu darbenden Milliarden im Süden, im Osten auf diesem Planeten. Immigranten, Wirtschaftsflüchlinge, die hinter schmiedeisernen Zäunen verwundert hören: S'ils n'ont pas de pain, qu'ils mangent de la brioche?, sollen abgehalten werden, teilzuhaben am allgemeinen Wohlstand.

Der wird freilich von Schiller kaum thematisiert. Es bildet die Schwäche dieses Stückes. Die Stilisierung des romantischen Liebesideals fragt nicht nach den materiellen Unterschieden der Liebespartner. Tatsächlich sind sie jedoch bedeutsam, soll es sich um eine ausgewogen, gleichwertige Partnerschaft handeln und nicht um eine auf Abhängigkeit, Unterwerfung und Ungleichheit beruhende. Mit dieser Sicht, werde ich Schiller jedoch nicht gerecht. Zwangsheiraten waren zu seiner Zeit üblich. Gerade mit der Forderung nach dem Recht auf eine Liebesheirat formulierte er einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der heute in unseren Breitengrade durchgesetzt schein. Die Forderung nach der Emanzipation der Liebe ist überholt, sie bricht nicht mehr am schnöden Mamon - oder?




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