|
dreht und nicht zurück, in die
Zeit Schillers, hin zur Uraufführung in Frankfurt / M., 1784, fünf
Jahre vor der französischen Revolution, einer Revolution, die in
Frankreich die ständischen Unterschiede zwischen Adel und Bürgertum
hinwegfegte, nicht zu letzt durch die Guillotine, die tausende von
hoch erhobenen Köpfen rollen ließ. Dass dieses Stück also fünf
Jahre vor der Revolution in Deutschland, in Frankfurt am Main, auf
die Bühne kam, musste von besonderer Brisanz gewesen sein und konnte
nur in einer bürgerlichen Stadt wie Frankfurt geschehen. Man hat
sich diesen Affront vorzustellen, der sichtbar auf die Bühne
brachte, wie es um die herrschenden Verhältnisse im Herzogtum
Württemberg, also in Stuttgart, stand und wie es in den deutschen
Landen im allgemeinen im klar abgegrenzten Verhältnis von Bürgertum
zu spätem, absolutistischen Adel zu ging. Deutlich wird dieser
Affront, der Mut des Autors und der damaligen Intendanz 2014 in
Leipzig nicht. Durchaus wird dieses Schillerstück gekonnt,
sprachlich ein wenig auffrisiert, modisch angepasst und
bühnenbildnerisch in die Moderne gehoben - ich sagte nicht: Runter
gespielt, inszeniert und schließlich vom Bildungsbürgertum
beklatscht. Gar nicht, ganz im Gegenteil: Saubere Arbeit. Und
dennoch, da fehlt etwas. Es fehlt die Brisanz, der Eklat, die
gesellschaftliche Auseinandersetzung, der Anspruch auf Veränderung,
der theatralisch vorgetragene Gesellschaftskampf um gleiche Rechte.
Kurz: Nimmt man das Schillerstück wie es ist, den Text, wie er nun
mal seinerzeit formuliert wurde, dann beschreibt er nichts anderes
als das, was einmal war, ohne jedoch zu vermitteln, was da einmal
war. Freilich, es vermitteln sich Ahnungen dessen, ein gewisses
Geschichtsbewusstsein wird reaktiviert und ein wohlwollendes
Verständnis macht sich breit für die Leistungen der Vorfahren in
ihrem Bemühen, ihren Kämpfen um politische, gesellschaftliche
Emanzipation, die schließlich nicht Halt macht vor so etwas
zeitlosem wie der wahren, reinen Liebe, einem Romeo und Julia Thema.
Aber
ist es mit Ahnungen getan, die einer Reinszenierung von Schillers
Kabale und Liebe genüge täte? Nein, wir haben ein Recht auf mehr,
nicht zuletzt weil Schiller aus seinem Grabe heraus selbst mehr
fordert als nur diesen schwachen Abglanz längst vergangener
Auseinandersetzungen um Gesellschaftsveränderung. Es drängt
förmlich aus dem Urgrund dieses Stücks an die Oberfläche, wird
aber zurückgehalten, denn es soll nicht, auch heute nicht, bewusst
werden, soll nicht sein. Warum nicht? Ganz einfach, wir
identifizieren uns mit den Guten, mit den tragischen Gestalten dieses
Stückes. Wir kommen gar nicht auf die Idee, uns in die Rollen der
Bösewichte, der Herrschenden zu versetzen. Allenfalls ließen sich
die damaligen Standesunterschiede übersetzen in die gegenwärtigen
Reichtumsunterschiede: Banker, die Millionen an Boni und
Gratifikationen abkassieren, und auf der anderen Seite ein elender
Streit um einen Mindestlohn. Aber das wäre zu einfach, eine solche
Tradierung in heutige Gesellschaftsunterschiede wäre zwar stimmig,
aber entließe die meisten, ohne sich in der Rolle des
verabscheuungswürdigen Bösewichts entdeckt zu haben.
Anders
sähe es aus, wenn die Regie den Mut und vor allem das
Verständnis für die gesellschaftliche Brisanz des Stückes gehabt
hätte und dem Publikum eine heutige Bürgerstochter, die einen heutigen,
adligen Herren zu heiraten wünschte, zeigte, nämlich zum Beispiel eine
Schwarze, die einen Weißen liebt, doch das wäre fast schon obsolet nach
Obama, aber wie sieht es mit einer Russin aus oder einer anatolischen
Türkin, einer gerade immigrierten Syrerin oder einer Inderinin, alle
wohlgemerkt aus unbegüterten Verhältnissen kommend, einzig durch
Schönheit und Jugend auffallend? Wir sind nämlich die höfische
Gesellschaft im Verhältnis zu darbenden Milliarden im Süden, im
Osten auf diesem Planeten. Immigranten, Wirtschaftsflüchlinge, die hinter
schmiedeisernen Zäunen verwundert hören: S'ils n'ont pas de pain,
qu'ils mangent de la brioche?, sollen abgehalten werden, teilzuhaben
am allgemeinen Wohlstand.
Der
wird freilich von Schiller kaum thematisiert. Es bildet die Schwäche
dieses Stückes. Die Stilisierung des romantischen Liebesideals fragt
nicht nach den materiellen Unterschieden der Liebespartner.
Tatsächlich sind sie jedoch bedeutsam, soll es sich um eine
ausgewogen, gleichwertige Partnerschaft handeln und nicht um eine auf
Abhängigkeit, Unterwerfung und Ungleichheit beruhende. Mit dieser
Sicht, werde ich Schiller jedoch nicht gerecht. Zwangsheiraten waren
zu seiner Zeit üblich. Gerade mit der Forderung nach dem Recht auf
eine Liebesheirat formulierte er einen gesellschaftspolitischen
Anspruch, der heute in unseren Breitengrade durchgesetzt schein. Die Forderung nach der Emanzipation der
Liebe ist überholt, sie bricht nicht mehr am schnöden Mamon - oder?
|