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Auf-Stand! … für die Menschlichkeit

Video 7.33

Gewandhaus / Alte Handelsbörse Leipzig, 20. / 21. März 2024, DG

Wieder nutzen mehrere junge Frauen die Möglichkeit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die in diesem Fall der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und der Bundeskanzler Olaf Scholz bieten, um gegen den israelischen Angriffskrieg gegen die Palästinenser im Gazastreifen zu protestieren. Erst ist es eine junge Frau, die aus den Reihen der auf ihren Stühlen sitzenden Zuhörer aufsteht und in die Rede des Bundespräsidenten fällt. Lautstark weist sie auf den drohenden Genozid im Gazastreifen hin, auf Bombardierungen von Krankenhäusern, auf verhungernde Babys, auf zerbombte Wohnviertel, auf bisher ca. 30.000 Todesopfer. Als ihre Zwischenrede nicht enden will, kommen Ordnungskräfte und bringen sie hinaus. Zwar widerstrebend fügt sie sich, denn Widerstand ist zwecklos. Kaum ist wieder Ruhe eingekehrt im Saal, steht eine andere auf. Ein unwilliges Lamentieren zischelt im Saal, aber die Leute bleiben sitzen. Lautstark bringt diese Demonstrantin Anschuldigungen gegen den Staat und ihren obersten Vertreter vor, es sei Völkermord den Deutschland in Unterstützung Israels begehe. Die Deutschen hätten aus dem Holocaust der Nazis nichts gelernt. Kaum ist auch sie von den Ordnungskräften aus dem Saal geschafft, steht die nächste auf. Steinmeier fragt, ob noch jemand im Saal wäre. Als niemand aufsteht, beginnt er wieder mit seiner Buchmesse Rede zum Thema: 35 Jahre Friedliche Revolution, 75 Jahre Grundgesetz – Wie steht es um unsere Demokratie? - Die Antwort ist: Mit unserer Demokratie steht es so, dass wieder eine junge Frau aufsteht und lautstark über die Unterstützung Israels beim Bomben und Vernichten der Palästinenser schimpfen kann. In der vordersten Reihe ganz rechts erhebt sich ein distinguiert erscheinender Herr und schimpft erbost zurück, man müsse auch das Attentat der Hamas, die Vergewaltigungen und das Abschlachten unschuldiger Kinder, Frauen und Männer, die Geiselnahme von hunderten Menschen erwähnen. Nach dem auch diese Demonstrantin aus dem Saal geschafft wurde, erheben sich noch drei weitere pro-palästinensische Demonstrantinnen.

Insgesamt bleiben die Menschen im Saal ruhig, entweder aus Angst, öffentlich Stellung zu beziehen und damit ins Lampenlicht der Aufmerksamkeit und der Fernsehkameras zu geraten oder weil sie es schlicht für unangebracht halten, eine solch hoch offizielle Veranstaltung durch Aufruhr und Protest zu sprengen.

Wenn das Ich zum einen empfindet, gleichfalls aufstehen zu müssen, um sich gegen die barbarischen Bombardierungen und die Unterstützung der orthodox-konservativen Politik des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu zu wenden, dann wird dieser Impuls der Menschlichkeit gehemmt durch die Feigheit, sich gegen die anscheinende Übermacht der herrschenden Verhältnisse zu stemmen. Oder wieso schließen sich nicht noch andere im Saal dem Protest dieser jungen Frauen an? Was geschähe, wenn das Feuer des Widerstands gegen Rache und Vergeltung, gegen Vernichtung und Zerstörung übergriffe auf die ganz normalen, einfachen Leute im Publikum? Wenn sich immer mehr und mehr dem Protest gegen die offizielle Politik anschlössen, bliebe den politisch Verantwortlichen in Deutschland parteiübergreifend nichts anderes übrig als ihre Stimme klar und deutlich gegen die religiös fanatische Regierung Israels zu erheben. Für die Deutschen geht es darum, sich von der Nazi-Vergangenheit und der Schuld ihrer Vorfahren am Holocaust zu emanzipieren. Es gilt zu erkennen, dass das, was im Westjordanland vor sich geht, die Annexion von Land, die systematische Vertreibung von Palästinensern durch die israelische Siedlungspolitik Hand in Hand geht mit dem an Völkermord grenzenden Krieg im Gazastreifen. Es gilt zu erkennen, dass ein Aufstehen und Protestieren, ein Sprengen von Veranstaltungen, wie die des Bundespräsidenten oder tags zuvor die des Bundeskanzlers Olaf Scholz im Gewandhaus, ein Gebot des Gewissens und der Menschlichkeit sind.

Angesichts dieser wenigen, mutigen Frauen, die es wagten ihre Stimme zu erheben, konnte der Bundespräsident ruhig bleiben. Zwar zeigt er sich offenkundig nicht der Meinung der Protestlerinnen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland an einem Völkermord beteiligt, doch andererseits nimmt er, die Ordnungskräfte und das Publikum es geduldig hin, dass die jungen Demonstrantinnen im Rahmen demokratischer Protestformen für die Palästinenser eintreten. Dennoch bringen die Störungen und Zwischenreden seinen beißenden Spott, seinen unbeugsamen Unwillen zu Tage, sich derart die Veranstaltung vermiesen lassen zu müssen. Er will sich seine Redezeit nicht durch andere Politiken umgestalten lassen, weil er sich schon von Amts wegen nicht die Initiative nehmen lassen darf.

Mithin kommt es zu keinem Gespräch mit den Demonstrantinnen, ein Austausch von Argumenten auch zwischen den Menschen im Publikum gibt es nicht. Die Veranstaltung soll nicht umfunktioniert werden, daran hält sowohl Steinmeier als auch die träge Masse des Publikums fest, denn ein Hinterfragen der politischen Verantwortungsträger soll offensichtlich von den Protestlerinnen nicht erzwungen werden können, weil, das wäre ein Nachgeben, das dann Schule machen würde und nur zu weiteren solchen Sprengungsversuchen von Veranstaltungen führen würde. Das entsprechende Motto lautet: Wir sind doch nicht mehr im Jahre 1968 als die Studentenrevolte solche Mittel anwandte.

Ohne Frage gibt es aber diese engagierten Opponentinnen einer Regierungspolitik, die den Schulterschluss mit einer religiös-rechtsextremen Regierung sucht. Diese außerparlamentarische Opposition der Menschlichkeit weiter weg zu schweigen und nicht mit ihnen ins Gespräch zu gehen, zeugt von einer Angst der deutschen Regierungsvertreter, ihre Maßnahmen und Verlautbarungen öffentlich hinterfragen zu lassen. Die Behauptung, solche Debatten gehörten ins Parlament und nicht in Feierstunden und Veranstaltungen, macht die aufgeworfenen Fragen zu parteipolitischen Positionen. Die Protestlerinnen als auch die von den Vorgängen betroffenen Bürger, so behauptet das Ich, wollen aber genau diese parteipolitische Vereinnahmung und Zuordnung nicht. Es geht ihnen um Menschenrechte, um das Leben, um nicht zu sagen das Überleben eines ganzen Volkes und den Frieden. Parteipolitik ist ihnen schnurz.

Angesichts des islamistischen Attentats auf eine Moskauer Konzerthalle äußerte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter erneut die Hypothese einer False-Flag-Operation von Russland. Bezüglich der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline hatte der Oberst a. D. der Bundeswehr auch über eine False-Flag-Operation Russlands spekuliert. Offenbar kennt man sich bei der Bundeswehr mit solchen vorgetäuschten Attentaten aus. Seltsamer Weise wurde eine soche False-Flag-Operation Netanjahus religiös-rechtsextremer Regierung nicht unterstellt als die Hamas unschuldige Zivilisten massakrierte. Obwohl der Mossad, der israelische Geheimdienst, ansonsten bestens informiert ist, gab es keine Hinweise auf einen bevor stehenden Hamas Angriff. Ohne
Frage spielt dieses fürchterliche Hamas-Massaker der religiös-rechtsextremen Regierung Netanjahus in die Hände. Ob das reicht, wie im Fall Putin, der Warnungen der Moskauer US-Botschaft in den Wind schlug, den Vorwurf einer indirekten Beteiligung am Hamas-Angriff zu erheben, mag dahin gestellt bleiben. In beiden Fällen eskaliert jedoch der Konflikt und die emotionalisierte Bevölkerung ist zu noch härteren Maßnahmen als auch Opfern bereit.



Zu fragen bleibt: Was geschieht mit diesen Menschen, die das Gewissen treibt auf zu stehen, ihre Stimme zu erheben und Veranstaltungen zu stören, umzufunktionieren und für ihre Meinungen, ihre Ansichten, ihren Glauben zu instrumentalisieren? Werden sie angeklagt wegen Hausfriedensbruch, wegen Ruhestörung, ja, wegen Volksverhetzung? Oder hat eine demokratisch tolerante Gesellschaft eben genau solche, sich im friedlichen Rahmen abspielenden Protestformen zu ertragen, zu erdulden, wenn nicht gar zu nutzen, um in ein öffentliches, die widersprüchlichen Meinungen, Ansichten und Betroffenheiten austauschendes Gespräch zu kommen? Mithin ist die Frage, wie kann es einer demokratischen Gesellschaft gelingen die so widersprüchlichen Gegensätze mit Verständnis für einander zu befrieden?





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