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Wolfgang Huber, evangelischer Theologe, über seine „Ethik der Digitalisierung“

DFL, 01. August 2022, 09:35 Uhr




Besser solch ein Leben

Oder: Zur pandemischen Sittlichkeit der Digitalisierung

Berlin Bellevue, 7. Februar 2022, DG

Wenn im Schloss Bellevue der Bundespräsident den Ergebnisbericht eines akademischen Forschungsprojektes zur Ethik der Digitalisierung debattiert, dann drängen sich mir ganz eigene Fragen auf, denn was meint der so hoch daher kommende Diskurs über die Sittlichkeit der Umwandlung von analogen Daten, Bildern und Erkenntnissen in computertechnisch verarbeitbares Material? Was wird da eigentlich digitalisiert und in die virtuelle Welt gebracht? Der Lebensalltag? Die Arbeit? Wenn Leben und Arbeit als die beiden Grunddimensionen menschlichen Seins begriffen werden, dann meint die Sittlichkeit das Wie Menschen miteinander Umgehen, wobei die Unsittlichkeit als Abwesenheit von geregelten und gesetzlich festgelegten Verhaltensabläufen lediglich eine Untergruppe des allgemeinen Begriffs der Sittlichkeit darstellt. Darüber hinaus stellt sich gerade in solchen Fällen des unsittlichen Verhaltens die Frage, welche Normen ihre Wirkkraft anstelle der offiziell anerkannten Regeln und Gesetze entfalten.

Ganz praktisch lassen sich solche eher theoretischen Vorüberlegungen auf die gegenwärtigen Entwicklungen in Bezug auf den gesellschaftlichen, um nicht zu sagen staatlichen Umgang mit der Corona Pandemie anwenden. Es werden eine Unmenge an Daten gesammelt über Menschen, die sich testen und impfen lassen. Die technischen Möglichkeiten der Auswertung dieses Datenmaterials erlauben Nutzungen, die weit außerhalb der rein medizinischen Seuchenbekämpfung liegen. Zum Beispiel ist an die Terroristenbekämpfung zu denken, denn welche verdächtigen Subjekte wurden von dieser Datenerhebung nicht erfasst? Ja, all diejenigen, die sich dem digitalen Zugriff entziehen, weil sie sich weder testen noch impfen lassen, fallen als solche in eine Gruppe, die als solches ein datentechnisches Merkmal aufweist, nämlich das der Negation.

Die Beschränkung des Möglichen in einem demokratischen, von Gewaltenteilung bestimmten Gemeinwesen hat dabei das Allgemeinwohl genauso im Sinne, wie die Notwendigkeit der Volksgesundheit, die durch eine allgemeine Impfpflicht erreicht werden soll. Dass die parlamentarische Mehrheit dafür in Gegensatz zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und endemischen Entwicklungen gerät, zeigt einmal mehr, wie langsam, dafür aber nachhaltig, sich gesellschaftliche Konsensbildungen, nicht zuletzt im politischen Raum einstellen und wie träge die Beharrungskräfte auf den einmal erzielten Standpunkten verharren.

Diese Dissonanz zwischen tatsächlicher Entwicklung und der im parlamentarischen Konsensprozess dargestellten spiegelt sich in den Vorgängen auf der Straße und ihrem medialen, also digitalisierten Abbild. Eine Massenbewegung derer, die sich gegen die Corona-Massnahmen richten, wird einer obsoleten Doktrin folgend von den maßgeblichen „Staatsmedien“ als rechtsradikal eingestuft beziehungsweise in die rechte Ecke geschoben. Wieso wird das Offensichtliche nicht wahrgenommen? Wieso werden wöchentlich hunderttausende Demonstranten als Rechtsradikale diffamiert? Es sind vielmehr Bürger, die friedlich gegen die ihnen übertrieben scheinenden Corona Maßnahmen demonstrieren. Wenn die Antwort lautet, die Politik wünscht die Ausgrenzung der Rechtsradikalen genauso wie die Virologen das Zuhause Bleiben der Menschen, so mag dies zwar als eine vernünftige Politik erscheinen, doch noch immer stellt sie eine Verzerrung der Wahrheit derjenigen dar, die sich ganz unsittlich Verhalten, in dem sie protestierend Montag für Montag auf die Straße gehen.

Kurzum, das was der Zeitgeist als sittlich ansieht, ist eine Frage der Macht, also der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse und der „Staatsmedien“, die die öffentliche Meinung prägen. Entsprechend verhält es sich mit dem, was aus den Daten im digitalen Raum gemacht werden darf. Ihre Interpretation und Bewertung ist den jeweils herrschenden Verhältnissen unterworfen, so dass das Offenkundige durch Staatsräson, politisches Kalkül und augenscheinlicher medizinischer Notwendigkeit verzerrt wird, soll heißen das Wahrgenommene selbst unterliegt der Macht, der (Selbst-) Zensur und der Angst vor Konsequenzen, die denen in totalitären Staaten ähneln. Insofern verpasst die gegenwärtige Ausblendung der Corona-Maßnahmegegner aus dem öffentlichen Diskurs die Chance der demokratischen Auseinandersetzung mit anders Denkenden. Andererseits meint es auch die Erfahrung dieser anders Denkenden mit einer wehrhaften Demokratie. Sie ist nicht totalitär, auch wenn sie mit Bestimmtheit ihre Interessen vertritt und deshalb Grenzen nicht nur aufzeigt, sondern durchsetzt. Konkret mag das solch zivilisatorische Neuerungen wie eine Masken- und Testpflicht meinen, aber eben auch Kontakt-, Kultur- und Konsumbeschränkungen. Dass aber auch den Beschränkungen Beschränkungen aufgrund von Lebensnotwendigkeiten entgegenstehen bezeugen die Proteste. Sie richten sich gegen die Unmenschlichkeit nicht nur in Altersheimen mit ihren Isolationsmassnahmen, sondern auch gegen die Unterdrückung fundamentaler Lebensinteressen der jungen Menschen. Das Credo von Jung und Alt mag daher lauten: Lieber tot als solch ein Leben.



Ergebnisse des Projekts "Ethik der Digitalisierung"


Präsentation des Projekts "Ethik der Digitalisierung"





Die bundespräsidiale Ethik der Digitalisierung

Bellevue, 17. August 2020, DG

Ansprache des Bundespräsidenten (Video)

Auf höchster Ebene, im Schloss Bellevue, per Life-Stream, eine wissenschaftliche Auftaktkonferenz moderiert von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Es geht um die Ethik der Digitalisierung, also um die Sittlichkeit des World Wide Web, des Internet und vor allem der individuellen Bewerkstelligung lebensalltäglicher Belange, sollte man meinen. Corona bedingt, d.h. aus Angst vor Ansteckung mit dem Covid-19 Virus, wird der Event unter Ausschluss von Gästen per Video-Stream unters Volk gebracht. Die 5 Gesprächspartner sitzen vorbildhaft ca. 1,5m auseinander, der Bundespräsident thront gebührend in der Mitte.
Das Arrangement suggeriert Klarheit, Aufgeräumtheit, Übersichtlichkeit, Ordnung, Ruhe. Auf dem Bild ist ein Monitor zu sehen, die Bildwechsel der aufnehmenden Fernsehanstalt Deutsche Welle lassen zumindest 2 TV-Kameras vermuten: Totale und Seitenaufnahmen, ansonsten erscheint der Raum bereinigt von leibhafter Präsenz. Sie ist auch nicht nötig, schließlich geht es um abstrakte Zusammenhänge von Marktmacht und politischen Einflussmöglichkeiten auf Internet-Giganten wie Google, Facebook und Huawai. Verdeutlicht findet sich dies beispielhaft in dem Dokumentarfilm „The Cleaners“, zehntausende von Beschäftigten in outsourced Companies in Manila, die in Sekundenschnelle Bilder und Videos sichten und entscheiden, ob die hochgeladenen Beiträge gegen sittliche Standards verstoßen und deleted werden müssen.


v.l. Bundesministerin a.D. Annette Schavan, Wolfgang Schulz vom Leibniz Institut, Bundespräsident Steinmeier, Sunimal Mendis, Teilnehmerin des Fellowprogramms, und Wolfgang Rohe von der Stiftung Mercator , Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Tatsächlich, die Grenzziehung zwischen Kunst und Müll, zwischen Volksverhetzung und politischer Auseinandersetzung, zwischen Profit- und Kundeninteressen ist schwierig. Ohne Frage, das Internet bedarf der Regulierung gegen Wildwuchs. Der digitale Raum, diese Errungenschaft des Computerzeitalters, kann nicht ohne staatliche und rechtliche Ordnung bleiben. Aber was heißt hier digitaler Raum? Ich denke dabei an das Navi mit der superben Stimme, die mich leitet und lenkt, die manchmal nicht weiß weshalb ich nicht weiß - eine ganz bestimmte Auseinandersetzung mit der sogenannten Artificial Intelligence setzt dann ein. Er entfaltet sich über den "Inneren Monolog", der durch den Zuhörer zu einem Dialog gerät. 

Wenn die Maßnahmen gegen die Pandemie Covid-19 eine Verschiebung des öffentlichen Lebens in den digitalen Raum mit sich brachte, dann besteht staatlicher Handlungs-, um nicht zu sagen Regulierungsbedarf und zwar in einer Weise, wie ihn dieser SPD-Bundespräsident mittels seiner Gesprächsführung vor Augen führte: Mit fester Hand, keine Zweifel daran lassend, nicht nur der Moderator, sondern der souveräne Staatschef seiend, allwissend kompetent und in jeder Frage überlegend eingreifend, ordnend, Effizienz und Sicherheit garantierend. Dass Franky seine Rolle und Funktion in dieser Weise ausfüllen kann, liegt nicht nur an seinen devoten Gesprächspartnern. Vor Tagen blies die SPD, gut 1 Jahr vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021, mit der Ausrufung ihres Spitzenkandidaten Olaf Scholz, zum Wahlkampf. Sie erhebt den Führungsanspruch den er im Gespräch demonstrierte. Die potentiellen Koalitionspartner, die Grünen und die Linke, als auch die Mitbewerber ums Kanzleramt, erwischte es kalt – soweit das Auge reicht gibt es keine nennenswerten Kandidaten. Sie hätten erst aufgebaut zu werden. Steinmeier selbst steht erst wieder 2022, nach Ablauf seiner ersten 5jährigen Amtszeit, zur Debatte. Wie sich bis dahin die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat entwickeln wird freilich vom Ausgang der Herbstwahlen 2021 abhängen.

Dieses hochsokratisch geführte Wissenschaftsgespräch im politischen Raum dürfte sich von solchen in anderen EU-Staaten nicht unterscheiden, soll heißen es ist ein Europa weites Thema, dass Nationalstaaten angehen. Ich frage mich, wieso die UNO eine solche Aufgabe der globalen Regulierungen des WorldWideWeb nicht rechtsbindend wahrnimmt. Wohl, weil die Lobby-Arbeit ähnlich wie in Brüssel, nur uneinsichtiger, die Belange der Wirtschaft und der Finanzwelt erfolgreich beeinflußt.





Auftaktkonferenz zum Projekt "Ethik der Digitalisierung"

Re:publica 2019

Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG)


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